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AfD-Erfolge in Ostdeutschland alarmieren Ökonomen

Die AfD verbucht bei der Europawahl in Ostdeutschland deutliche Zugewinne. Ökonomen sprechen von einer beängstigenden Entwicklung.

Für die anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland verheißen die Europawahl-Ergebnisse der AfD nichts Gutes. Die Rechtspopulisten fuhren am Wochenende satte Zugewinne ein, in Sachsen und Brandenburg, wo am 1. September neue Landtage gewählt werden, ist die AfD sogar stärkste Kraft vor der CDU geworden.

Experten wie der Rechtspopulismus-Forscher Matthias Quent sehen die Partei schon auf Regierungskurs. Andere sehen die etablierten Parteien in dem Dilemma, einem weiteren Rechtsruck nur schwerlich etwas entgegensetzen zu können.

Der Ausgang der Europawahl zeigt an, was im Osten derzeit möglich ist: Die Ergebnisse für die AfD bewegen sich zwischen 17,7 Prozent (Mecklenburg-Vorpommern) und 25,3 Prozent (Sachsen). Im Westen erhielten die Rechtspopulisten zwischen 6,5 Prozent (Hamburg) und 10 Prozent (Baden-Württemberg) der Stimmen.

Bitter für den amtierenden sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU): In seiner Heimatstadt Görlitz liegt die AfD bei 32 Prozent, die CDU bei 25 Prozent. Außerdem stehen die Chancen gut für die Rechtspopulisten, schon bald den Oberbürgermeister in der östlichsten Stadt Deutschlands zu stellen, was ein Novum wäre. Die erste Runde der OB-Wahl am Sonntag gewann der AfD-Kandidat bereits mit 36,4 Prozent der Stimmen. Der CDU-Kandidat erhielt 30,3 Prozent, dicht gefolgt von einer Grünen-Politikerin mit 27,9 Prozent.

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Trotz der ernüchternden Ergebnisse fällt die Reaktion Kretschmers vergleichsweise zurückhaltend aus. Er bat darum, die Sache differenziert zu betrachten. Die Europathemen, die in einigen Teilen der alten Bundesländer für einen Höhenflug der Grünen gesorgt hätten, „haben in den neuen Ländern zu großen Sorgen geführt“, sagte der CDU-Politiker am Montag in Berlin. Auf die Fragen und Probleme, die mit der EU zu tun haben, habe es zu wenig Antworten gegeben – deswegen habe es auch eine Protestpartei gegeben.

Ob eine derart einfache Analyse zu erklären vermag, warum der Osten immer weiter nach rechts abzudriften droht? Geht es nach führenden Ökonomen, wäre mehr Selbstkritik angebracht. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sprach denn auch mit Blick auf die AfD-Erfolge von einem „Armutszeugnis für die etablierte Politik“. „Die großen Parteien haben den Europawahlen zu wenig Bedeutung beigemessen und konnten letztlich viele Bürgerinnen und Bürger nicht überzeugen“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt.

Der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding, sprach gar von „beängstigenden“ Ergebnissen für die AfD in einigen Regionen. Zwar befürchte er keine unmittelbaren wirtschaftlichen Konsequenzen, aber eine Verzögerung des Angleichungsprozesses zwischen Ost und West. „Auf Dauer kann die mangelnde Weltoffenheit den ohnehin schleppenden Aufholprozess der neuen Länder weiter verzögern“, sagte Schmieding dem Handelsblatt. Innerhalb dieser Länder könne sich etwa „die Kluft zwischen einigen blühenden Metropolen wie Berlin, Leipzig und Erfurt einerseits sowie den eher abgelegenen Regionen noch weiter vertiefen“.

Gauland bedauert „Spaltung Deutschlands“

Auch DIW-Chef Fratzscher geht nicht davon aus, dass Wahlerfolge der AfD Auswirkungen auf die Wirtschaft haben: „Ich bezweifle, dass die AfD in irgendeinem Bundesland Regierungsverantwortung übernehmen könnte“, sagte er. Trotzdem sei es wichtig, dass die etablierten Parteien überzeugende Konzepte präsentierten, wie in Ostdeutschland mehr wirtschaftliche und soziale Chancen entstehen könnten und der Aufholprozess fortgesetzt werden könne.

Ökonomische Fragen sind am Montagvormittag nicht das Thema der AfD-Führung. Parteichef Alexander Gauland bedauerte zwar „eine Spaltung Deutschlands“. Er betonte jedoch zugleich eine ostdeutsche Besonderheit. Die Menschen in Dresden oder Cottbus seien „freiheitsliebend, dadurch sind wir in diesen Ländern jetzt sehr viel stärker“, sagte er. In der sächsischen Landeshauptstadt Dresden erzielte die AfD bei der Europawahl knapp 20 Prozent, dahinter rangieren die CDU (18,7 Prozent), Grüne (17,7 Prozent), Linke (12,5 Prozent) und SPD (8,4 Prozent).

Für den sächsischen AfD-Chef Jörg Urban liegt auf der Hand, „dass die AfD in Sachsen schon lange keine Protestpartei mehr ist“. Die Menschen würden der AfD vertrauen, eine verantwortungsvolle Politik zu machen. „Das wollen wir nach der Landtagswahl auch gern tun.“ Eine Zusammenarbeit mit der CDU komme aber nur infrage, „wenn wir unsere wesentlichen politischen Forderungen durchsetzen können“. Die Union müsse sich intern ein ganzes Stück revidieren.

Tatsächlich scheint die AfD eine gute Ausgangssituation zu haben. Und das gute Europawahlergebnis könnte ihr noch zusätzlich in die Hände spielen, wie Rechtspopulismus-Forscher Quent glaubt. Die Union habe jedenfalls im Osten „kein progressives Gegengewicht mehr, vor allem, weil die Linkspartei massiv an Stimmen verloren hat und die Grünen im Osten nur geringe Zugewinne verzeichnen können“, sagte der Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena dem Handelsblatt. „Das macht in Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen eine Regierung in Sachsen, Brandenburg und Thüringen ohne rechtsradikale Beteiligung praktisch unmöglich.“

„Gefahr der rechtsradikalen Machtübernahme“

Aus Thüringer Sicht bedeute das, dass der AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke künftig „den Takt der Landesregierung“ zu bestimmen drohe, so Quent. In Sachsen sei die „Gefahr der rechtsradikalen Machtübernahme noch größer“.

Die Zugewinne für die AfD bestätigen aus Sicht Quents einen generellen Trend in Ostdeutschland. „Vor fünf Jahren war die AfD noch eine rechtsoffene Populistenpartei, heute ist sie eine rechtsradikale Partei in einem pseudokonservativen Deckmantel, der es gelungen ist, den einwanderungs- und europafeindlichen, nationalistisch und antiliberal eingestellten Teil der Bevölkerung zu mobilisieren, der im Osten aus verschiedenen Gründen größer ist als im Westen.“ Dieses rechte Milieu habe sich nun konsolidiert. „Wir haben es nicht mehr mit diffusen Protesten zu tun, sondern mit der bewussten Unterstützung für die radikale und populistische Rechte“, sagte Quent. „Und dieses mobilisierte rechtsradikale Potenzial wird nicht einfach wieder verschwinden.“

Der Politikwissenschaftler Kai Arzheimer von der Universität Mainz gab zu bedenken, dass Union und SPD bereits in der Vergangenheit in den neuen Ländern mit „erheblichen“ Problemen zu kämpfen hatten. „Selbst dort, wo eine Partei auf Landesebene über längere Zeiten erfolgreich ist, sind die Parteibindungen nicht unbedingt stabil“, sagte Arzheimer dem Handelsblatt. Nichtwahl, Wechselwahl und die Wahl neuer Parteien kämen im Osten noch häufiger vor als im Westen. „Auch dort ist aber für beide Parteien keine Rückkehr zur alten Stärke zu erwarten.“

Das stellt die etablierten Parteien vor ein Dilemma. Wie sollen sie weitere Triumphe der AfD noch abwenden? „Der letzte Rettungsanker, die Sozialoffensive mit vor allem der Grundrente, hat der SPD nichts genutzt; danach waren die Umfragen in den drei Ländern mit Landtagswahlen im Herbst schlechter statt besser“, sagte der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer dem Handelsblatt. „Und wenn die CDU jetzt aufgrund der Europawahl-Ergebnisse krampfhaft versucht, jünger und ökologischer zu werden, könnte sie damit ihre letzte feste Bank – die Älteren – verschrecken und gerade im Osten, wo die Umweltthematik weniger wichtig eingeschätzt wird als im Westen, der AfD vielleicht sogar neue Wähler zutreiben.“

Arzheimer dämpfte die Sorgen. Ein vergleichbar starkes Abschneiden der AfD bei den Landtagswahlen oder gar eine weitere Zunahme ihres Stimmenanteils sei „kein Automatismus“, sagte er. Der Wahlkampf habe noch nicht einmal begonnen. Zudem: „Gerade weil die ostdeutschen Wähler so flexibel sind, wären die übrigen Parteien schlecht beraten, die Flinte ins Korn zu werfen und nicht um die potenziellen Wähler der AfD zu werben.“

Entwicklungen stark durch Themenkonjunkturen bestimmt

Auch der Wissenschaftler Quent hält es für möglich, einen politischen Rechtsruck im Herbst noch zu verhindern. Dazu müssten die Demokraten, vor allem die Konservativen, aber damit aufhören, „die Unterstützung von Rechtsradikalen als irgendwie verständlichen Protest zu verklären“.

Stattdessen müssten sie den Menschen klar sagen, dass „letztendlich jede Stimme für die Rechten auch eine Stimme für Nationalsozialisten“ wie den thüringischen Landes- und Fraktionschef Björn Höcke sei und die Freiheit und den Wohlstand aller gefährde – und zudem die Spaltung zwischen Ost und West verschärfe. „Es wurden schon zu viele Dammbrüche zugelassen – die nächste Stufe würde die liberale Demokratie im Osten grundsätzlich infrage stellen“, warnte Quent.

Der Politikwissenschaftler Arzheimer riet den etablierten Parteien, sich inhaltlich nicht von den Rechtspopulisten treiben zu lassen. So sollten sie nicht auf die Themen Migration und Integration setzen. „Diese sind eng mit der AfD verbunden, sodass es nicht sinnvoll ist, auf diesem Feld mit der Partei konkurrieren zu wollen“, sagte Arzheimer. „Stattdessen sollten sich die übrigen Parteien auf ihre originären Themen und sachpolitischen Erfolge konzentrieren.“

Die Analyse des Bremer Politikwissenschaftlers Lothar Probst fällt grundsätzlicher aus. „Wir erleben gegenwärtig erhebliche Verwerfungen im lange Zeit stabilen Parteiensystem der Bundesrepublik“, sagte Probst dem Handelsblatt. „Die Ausdifferenzierung des Parteiensystems setzt sich fort, und die alten Volksparteien verlieren – nicht zuletzt aufgrund der durch die Wahlergebnisse erzwungenen Zusammenarbeit in der Großen Koalition – deutlich an Zuspruch, während im Osten die AfD und im Westen die Grünen starke Geländegewinne erzielen.“

Probst hält es für denkbar, „dass wir wieder zur Konfrontation zweier politischer Kulturen in Ost- und Westdeutschland zurückkehren – eine Situation, die wir Mitte der 1990er-Jahre schon einmal hatten“. Die Entwicklung im Parteiensystem werde aber auch sehr stark durch Themenkonjunkturen bestimmt: Von 2015 bis 2017 sei es fast ausschließlich um die Flüchtlingszuwanderung gegangen, seit 2018 rücke das Thema Klimawandel und Artenvielfalt – nicht zuletzt wegen Bewegungen wie der „Fridays for Future“-Demonstrationen – immer mehr ins Zentrum.

Beim ersten Thema habe die AfD, beim zweiten Thema hätten die Grünen von dieser Themenkonjunktur profitiert, erläuterte Probst. „Aber beide können das aus einer Situation der Opposition auf Bundesebene heraus machen – sie müssen nicht den Test auf die Gebrauchstüchtigkeit ihrer eigenen Vorschläge und Konzepte antreten.“ Wobei dies für die Grünen aufgrund ihrer Beteiligung an neun Landesregierungen nur begrenzt gelte.

Sachsen-CDU: besondere Ost-Strategie nicht nötig

Und welche Schlüsse zieht die Union daraus? Glaubt man Sachsens Ministerpräsident Kretschmer, wird es in den nächsten Wochen keine großen thematischen Überraschungen geben, um der AfD das Wasser abzugraben. Eine besondere Strategie für Ostdeutschland sei nicht nötig, sagte er. Er wünsche sich vielmehr, dass die Landtagswahl in Sachsen „nicht so eine Bekenntniswahl wird wie diese Europawahl“. Es müsse zusammengeführt und nicht gespalten werden bis zur Landtagswahl.

Dazu zählt für ihn auch, den Wählern in seinem Bundesland zu beweisen, dass in Europa die Probleme der Menschen gelöst würden. Ohne AfD und Grüne beim Namen zu nennen, sagte er, er sehe es mit Sorge, dass zwei politische Kräfte erfolgreich aus der Wahl hervorgegangen seien, die nichts miteinander zu tun hätten. Sie ähnelten sich aber sehr darin, „dass sie nur ihre eigene Position als das Absolute sehen, dass sie nicht fähig sind zu Kompromissen“. Das sei nicht gut für Deutschland. Das Land habe immer dann profitiert, wenn es Kräfte gegeben habe, die Kompromisse gefunden hätten.

Rechtspopulismus-Forscher Quent sieht indes jetzt nicht nur die Parteien gefragt. „Gerade die ostdeutschen Unternehmer sollten im allgemeinen und im eigenen Interesse Position beziehen“, mahnte Quent. „Sie könnten noch Menschen erreichen, die von den Medien und der Zivilgesellschaft nicht mehr erreichbar sind.“

Ob das auf die Schnelle hilft, ist eher unwahrscheinlich. „In Bezug auf die Landtagswahlen im Herbst in Ostdeutschland werden CDU und SPD auf jeden Fall weitere Verluste erleiden, und die AfD wird stärker werden“, ist der Politikwissenschaftler Probst überzeugt. Allerdings differenzierten die Wähler auch. „Der EU-Skeptizismus ist in Ostdeutschland – verstärkt durch die AfD – sicherlich stark verbreitet, aber bei Landtagswahlen geht es eher um landestypische Probleme und Themen wie Versorgung im ländlichen Raum, Verkehr, Bildung, Schutz vor Kriminalität, Arbeitsplätze“, erläuterte der Politikprofessor.

Das seien die Felder, die CDU und SPD „beackern“ müssten, um bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland nicht abzuschmieren. „Wer auf diesen Gebieten überzeugende Perspektiven bieten kann, hat zumindest einen Vorteil, auch wenn man dadurch das Erstarken der AfD nicht vollständig verhindern kann“, so Probst.

Mehr: Die Europawahl und die Folgen – Zahlen, Fakten und Zitate im News-Blog.