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„Die Internetkonzerne sind der Politik bis zu 20 Jahre voraus“

OECD-Generalsekretär Angel Gurria fordert neue Konzepte für den Wettbewerb im Netz und weniger Gesetze aber härtere Strafen bei der Regulierung der Digitalkonzerne.

WirtschaftsWoche: Herr Gurria, vom Steuerrecht bis zum Verbraucherschutz - fast alle Gesetze stammen aus Zeiten, die dominiert waren vom Handel mit realen Gütern. Nun aber ersetzen immer häufiger virtuelle Waren die traditionellen. Brauchen wir neue Regulierung für die Digital-Wirtschaft?
Angel Gurria: Absolut. Die Frage ist nur noch, wie die aussehen soll in einem globalen Wirtschaftsraum „Internet“. Müssen das klassische Rechtsnomen sein? Wer soll die verabschieden? Wie lassen sie sich durchsetzen, wenn sie in unterschiedlichsten Staaten und Rechtsräumen gültig sein sollen? All das müssen wir neu denken. Ich glaube nicht, dass wir alles über Gesetze regeln können, sondern verstärkt auf Selbstverpflichtungen der Tech-Konzerne setzen sollten.

Können Sie das konkretisieren?
Wir wären schon weiter, wenn etwa Onlinehändler Kunden global ein Umtauschrecht garantierten, oder die Option zum Rücktritt vom Vertrag. Wenn sich soziale Netzwerke auf den Schutz der Privatsphäre verpflichteten. Oder wenn sich Unternehmen in Branchen ohne große Konkurrenz eine strenge Selbstkontrolle bei der Sicherung des Wettbewerbs auferlegten. Das muss nicht ins kleinste Detail geregelt sein. Trotzdem wären allen Beteiligten die Leitlinien des Handelns klar – und ebenso, wann wer die Grenzen überschreitet.

Wäre das nicht eine Bankrotterklärung nationaler Wirtschaftspolitiken, weil sich deren traditionelle Sanktionsmöglichkeiten als wirkungslos herausgestellt haben?
Natürlich braucht es auch weiterhin die Möglichkeit, dass Staaten für sich definieren, was sie für rechtens halten, und was nicht. Aber das muss ja nicht für jeden Aspekt des digitalen Handelns gelten. In vielen Fällen können Selbstverpflichtungen der Digitalbranche einfach schneller, zeitgemäßer und wirksamer sein. Zumal die Zahl der Anbieter zumindest bei vielen erfolgreichen Online-Angeboten ohnehin sinkt.

Weil wenige Internetriesen mit ihren Apps und Angeboten immer machtvollere Monopole aufbauen – Google bei der Suche, Facebook bei sozialen Netzen, Amazon beim globalen Handel oder bei Cloud-Diensten …
… geht der Trend tatsächlich in diese Richtung. In vielen Fällen geht das digitale Geschäft, beschleunigt durch den Netzwerkeffekt, zu einem „The Winner takes it all“-Modell hin. Da muss man sich schon fragen, wo der Wettbewerb bleibt. Klar, man kann sich als Kunde entscheiden, Facebook nicht zu nutzen oder WhatsApp und Instagram nicht. Aber die Realität sieht doch so aus, dass die Menschen genau das nicht tun. Sie haben ja auch keine wirkliche Wahl. Es gibt eben nur ein Facebook, wo sie alle ihre Freunde finden.

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... das auch deshalb so erfolgreich ist, weil es offenbar für ihre Nutzer attraktive Angebote macht.
Genau. Und das wirtschaftstheoretische Problem ist, dass diese Internetmonopole – jedenfalls aus Konsumentensicht – gar nicht so schädlich sind, wie wir das aus den Konzernmonopolen des Industriezeitalters kennen. Die führten zu überteuerten, schlechten Produkten und einer suboptimalen Versorgung. Im Digitalzeitalter gibt es all die tollen Online-Services praktisch geschenkt. Wir zahlen mit unseren Daten, aber diese Dienste werden immer ausgefeilter, attraktiver und sie kosten trotzdem nichts.


Bedarf für Wettbewerbskontrolle

Wo ist denn dann das Problem?
Die Frage ist doch, ob wir uns gänzlich von der Innovationskraft und den Innovationsvorstellungen einiger weniger Anbieter abhängig machen wollen. Ich halte das für falsch. Abgesehen davon hat diese Machtballung durchaus ihre Kehrseiten, etwa wenn ich mir ansehe, wie die Giganten das Werbegeschäft dominieren. Da gibt es eindeutig Verlierer und Bedarf für Wettbewerbskontrolle.

Wie soll die funktionieren?
Genau das müssen wir nun herausfinden. Welcher Teil der Wertschöpfung soll unangetastet bleiben? Wo und welche Steuern will die Politik erheben? Das sind ganz entscheidende Fragen, wenn sich die Güter digitalisieren und die Profite virtuell von Wirtschaftsraum zu Wirtschaftsraum wandern. Man denke nur daran, wie etwa Apple Gewinne aus der EU in Niedrigsteuerstaaten verschiebt. Das Problem aller politischen Regulierer auf der Welt ist überall das gleiche. Ich war mal mexikanischer Finanzminister und weiß, wovon ich spreche. Die Politik ist immer zu spät dran. Um es sportlich zu sagen, wir rennen dem Ball nur hinterher. Das war schon bei der Regulierung der Banken so. Und die Netzkonzerne sind der Politik zehn bis 20 Jahre voraus.

Weil die Politik den digitalen Wandel verschlafen hat?
Ja, es ist in Teilen ein selbst verschuldetes Problem der Politik. Weil wir nämlich noch immer auf politische Konzepte setzen, die heute nicht mehr zeitgemäß sind.

Inwiefern?
Traditionell wollten wir als Wirtschaftspolitiker jedes Eckchen der Geschäftswelt verstehen und für jedes Detail definieren, wie ein Markt zu funktionieren hat – und wann genau es falsch läuft. Das ist im Digitalzeitalter schlicht nicht mehr machbar, weil sich Angebote und Innovationen so schnell entwickeln. Also müssen wir statt jedes Detail festzulegen, besser eine Art allgemeingültigen Rahmen für das Handeln im Netz als Ganzes festlegen.

Eine Art digitale Wirtschaftsverfassung fürs Netz?
Vielleicht so was. Es geht um grundsätzliche Prinzipien, die vielleicht etwas allgemeiner gefasst sind, als konkrete Gesetze. Aber sie haben den Vorteil, dass jeder im digitalen Raum weiß, wer sich fair verhält, und wer nicht. Wir müssen uns jedenfalls von der Vorstellung verabschieden, alle Eventualitäten im Netz schon vorab juristisch regeln zu können. Das mag den Juristen nicht gefallen, aber es ist eine wichtige Erkenntnis auf dem Weg zu einem zukunftsfähigen Regelwerk fürs digitale Wirtschaften.

Ist das nicht blauäugig? Die Erfahrung mit vielen digitalen Tech-Konzernen zeigt, dass die gerne erst einmal die Grenzen des Zulässigen austesten und erst dann zurückrudern, wenn drastische Sanktionen drohen.
Wettbewerbs- und Verbraucherschutzrechte geben ja auch heute schon die Möglichkeit, wirklich schmerzhafte Strafen zu verhängen, wenn einer die Regeln massiv verletzt. Das ändert sich ja nicht. Im Gegenteil, zu einer weniger kleinteiligen gesetzlichen Regulierung gehört im Digitalzeitalter genauso die Möglichkeit, Verstöße gegen die Regeln des fairen Handelns auch hart zu sanktionieren.