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Warum auch nach Wochen der Krise noch immer Lücken im Regal sind

Die Coronakrise hat Schwächen in der Logistik des Lebensmittelhandels offenbart. Experten raten zur Anpassung der Systeme und zum Ausbau des E-Commerce.

NIESKY, GERMANY - MARCH 13: Packages of toilet paper are pictured in an empty shelf in a supermarket on March 13, 2020 in Niesky, Germany. Many people are about to do panic buying because of the spread of corona virus. (Photo by Florian Gaertner/Photothek via Getty Images)
Toilettenpapier ist vielerorts ausverkauft. (Bild: Getty Images)

Die Ansagen der Verantwortlichen waren klar und eindeutig. „Deutschland ist mit heimischen Lebensmitteln gut versorgt, sodass Hamsterkäufe nicht notwendig sind“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied. „Unsere Märkte bei Rewe und Penny sind gut versorgt und werden das auch bleiben“, betonte Rewe-Chef Lionel Souque. „Wir stellen fest, dass sich die Regale wieder mehr und mehr füllen“, sagte der Sprecher des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH), Christian Böttcher.

Kunden räumen die Läden schneller aus, als die Händler auffüllen können

Doch trotz aller öffentlichen Beteuerungen zeigen sich auch Wochen, nachdem die Coronakrise Deutschland erreicht hat, in vielen Supermärkten deutlich sichtbare Lücken in den Regalen. Toilettenpapier ist überall Mangelware, und wenn es welches gibt, ist die Ausgabe in der Regel auf ein Paket pro Käufer beschränkt. Nudeln, Nudelsoßen, Hefe, Mehl sind immer wieder ausverkauft. Die Kunden räumen die Läden schneller aus, als die Händler auffüllen können.

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Hamsterkäufe: Warum ist Klopapier oft ausverkauft?

Der plötzliche Nachfrageschub hat die Systeme der Händler an ihre Grenzen geführt. „Die logistischen Prozesse sind sehr fein abgestimmt und einjustiert, um den Kunden die vielen unterschiedlichen Produkte mit hoher Verfügbarkeit und vor allem zu akzeptablen Preisen anbieten zu können“, erklärt Logistikexperte Heinrich Kuhn von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Deshalb dauere es nun eine gewisse Zeit, bis diese Produkte vom Lieferanten über die Zentral- oder Regionallager an die Märkte wieder ausgeliefert werden.

Lieferketten für externe Schocks sehr anfällig

Das Problem: Die Lieferketten sind sehr schlank aufgestellt und hochautomatisiert – und damit für solche externen Schocks sehr anfällig. „Viele Lebensmittelhändler und Hersteller verwenden Algorithmen, die von Künstlicher Intelligenz unterstützt sind, um die Nachfrage vorherzusagen und die Versorgung mit Produkten entsprechend zu planen“, erklärt Olivier Goethals, Handelstechnologieexperte vom Beratungshaus Publicis Sapient.

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Diese Algorithmen basieren auf dem Kundenverhalten der vergangenen Jahre sowie weiterer Informationen wie dem Wetter oder anstehender größerer Events oder dem Ferienkalender. „Dadurch können Händler ihre Vorräte so niedrig wie möglich halten und den Kunden trotzdem das verkaufen, was sie benötigen“, so Goethals.

Volumen der Hamsterkäufe unterschätzt

Doch das funktioniert nur in normalen Zeiten, in der Coronakrise rächt sich die fehlende Redundanz. „Die aktuelle Krise und die daraus folgenden Hamsterkäufe wurden von den Händlern und den Algorithmen nicht früh genug erkannt. Daher kommt es nun zu Engpässen“, beobachtet der Berater. Viele Händler haben das Volumen und die Dauer der Vorratskäufe unterschätzt.

Auch waren die Liefersysteme nicht flexibel genug, um sich schnell an den starken Anstieg in einzelnen Kategorien anzupassen. Wenn beispielsweise Klopapier bisher nur zweimal die Woche geliefert wurde, kann man das nicht von heute auf morgen auf tägliche Lieferung umstellen – insbesondere, wenn das in allen Märkten gleichzeitig passiert.

Tipp: So gelingen die Ostereinkäufe in der Corona-Krise

Außerdem hat sich das Nachfrageverhalten der Kunden in den vergangenen Wochen immer wieder verändert. So ist beispielsweise die Nachfrage nach Nudeln wieder etwas zurückgegangen, während jetzt Putzmittel mehr gefragt sind.

Zwischenlager bei vielen Produkten praktisch leergefegt

Verschärfend kommt dazu: Es sind nicht nur die Hamsterkäufe, die die Handelslogistik an ihre Grenzen bringen. Weil Restaurants, Cafés, Kantinen und Mensen geschlossen sind, kochen mehr Menschen wieder ihre Mahlzeiten selber. Auch diese zusätzliche Nachfrage belastet die Systeme des Handels – und macht die Prognose für die Händler noch schwieriger. Sie müssen einschätzen, welche Produktgruppe eher im Keller deponiert und welche direkt verbraucht und nachgekauft werden. „Hier hat man aktuell noch keine Erfahrungswerte“, gibt Professor Kuhn zu bedenken.

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Die Auswirkungen dürften noch länger zu spüren sein. Bei den Händlern sind die Zwischenlager bei vielen Produkten praktisch leergefegt, doch die Unternehmen zögern, wie stark sie nachlegen sollen. Die Planbarkeit sei weg, heißt es. Das hat direkte Rückwirkungen auf die Lieferketten und die Produktion der Lieferanten, die so auch keine Ruhe in ihre Prozesse bekommen.

Doch nun kommt schon die nächste große Belastungsprobe mit den Einkäufen fürs Osterfest. Auch hier helfen die Erfahrungswerte der Vergangenheit nur noch bedingt. Wie wirkt sich die Kontaktsperre auf Familienfeiern und damit den Konsum aus? Gibt es eine Konsumzurückhaltung angesichts der allgemeinen Krisenstimmung? Oder bei Lebensmitteln das Gefühl: jetzt erst recht? Und was ist mit Saisonartikeln wie Schokohasen?

Nicht erst Gründonnerstag einkaufen

Um im Zweifelsfall noch reagieren zu können, haben die Händler schon früh dazu aufgerufen, die Ostereinkäufe nicht erst kurz vor dem Fest zu tätigen. „Gehen Sie vorausschauend einkaufen. Überlegen Sie bereits jetzt, was Sie für die Feiertage benötigen“, empfiehlt Stefan Genth , Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland. Gemeinsam mit ihren Lieferanten arbeiteten die Lebensmittelhandelsunternehmen momentan auf Hochtouren, um die Lebensmittelversorgung unverändert sicherzustellen, betont der Verband.

„Unsere Kunden müssen sich auch vor den Ostertagen keine Gedanken darüber machen, dass sie keine Produkte mehr bekommen“, sagt Patrick Müller-Sarmiento, CEO der Warenhauskette Real. Doch auch er warnt: „Allerdings lohnt es sich, den Einkauf frühzeitig zu planen und nicht erst an Gründonnerstag zu erledigen.“

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Um solche Situationen wie in der Coronakrise künftig besser bewältigen zu können, empfiehlt Handelsexperte Goethals, früher mit Mengenbeschränkungen und sogar mit gezielten Preiserhöhungen ab bestimmten Kaufmengen einzugreifen. „Manche Händler setzen das heute schon um“, sagt er. „Eine Packung WC-Papier kostet beispielsweise fünf Euro, zwei schon 20 Euro und drei dann 50 Euro.“

Ist E-Commerce die Lösung?

Das wichtigste sei aber eine technische Aufrüstung der Systeme. „Die Supply-Systeme sollten in Echtzeit die Nachfrage in den Läden berücksichtigen, um falls nötig automatisch eine Verkaufsmengenbeschränkung zu aktivieren und gleichzeitig mehr Ware bei den Produzenten zu bestellen“, schlägt er vor. Durch elektronische Schilder am Regal, die schon mehrere Händler im Einsatz haben, ließen sich die maximalen Verkaufsmengen dann auch direkt anzeigen, ohne die Notwendigkeit von Papier und Klebeband.

Eine wichtige Lehre aus der Coronakrise sollte aber auch der Aus- und Aufbau kanalübergreifender E-Commerce-Lösungen sein. Dann könnte in Notsituation schnell auf Liefer- und Abholdienste umgestellt werden. „Nur dann werden Händler auch in Zukunft erfolgreich sein“, prognostiziert Goethals.

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