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Kaum bekannt, aber 7000 Mitarbeiter – und bald 100 Extra-Milliarden Euro schwer: Hinter den Kulissen der mächtigsten Behörde der Bundeswehr

Rund 47 Milliarden Euro gibt die Bundeswehr aktuell im Jahr aus. Bezahlt werden damit die Gehälter von Soldaten und zivilen Mitarbeitern, der Betrieb von Liegenschaften, Materialerhalt, neue Waffen und vieles mehr. Als Folge des Ukraine-Krieges soll die Bundeswehr nochmal einmalig 100 Milliarden Euro kriegen. Aus diesem sogenannten Sondervermögen soll die desolate Ausrüstung der Streitkräfte verbessert und notwendige Neuanschaffungen finanziert werden.

Viel Geld also, das die Armee ausgeben kann, um Deutschland sicherer zu machen. Doch damit das Geld auch wirklich bei der Truppe ankommt, ist eine in der breiten Öffentlichkeit eher unbekannte Behörde in Koblenz entscheidend: das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, kurz BAAINBw. Vom Klopapier bis zum Kampfjet – beinahe alles, was in den Streitkräften beschafft wird, muss über die Schreibtische der rund 7000 Beamte und Soldaten gehen. Sie arbeiten in historischen Verwaltungsgebäuden direkt am Rhein oder in riesigen Kasernen-Komplexen im Umland.

Das BAAINBw gilt als Inbegriff deutscher Bürokratie

Was ist das für ein Amt, das für die außen- und sicherheitspolitische Glaubwürdigkeit der Bundesregierung in den nächsten Jahren so wichtig ist?

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Traurige Berühmtheit erlangte das BAAINBw 2018/2019 in der sogenannten Berater-Affäre. Weil man mit vielen Aufträgen dort heillos überfordert war, wurden über Jahre mit ausdrücklicher Billigung des Verteidigungsministeriums unter Ursula von der Leyen (CDU) selbst einfache Arbeiten an externe Unternehmensberatungen wie Accenture oder McKinsey ausgelagert. Diese kassierten teils Millionen für zweifelhafte Aufträge – ohne, dass sich am Ende aber etwas für die Truppe verbessert hat.

Seit damals gilt das BAAINBw als Inbegriff deutscher Bürokratie. Eine starre Riesen-Behörde, derer Dutzende Minister und Staatssekretäre im zuständigen Verteidigungsministerium bis heute nicht Herr werden konnten. Umso sorgenvoller schauen jetzt wieder Verantwortliche im Kanzleramt, im Ministerium oder im Bundestag, ob das Mammut-Amt überhaupt in der Lage ist, die versprochenen 100 Milliarden Sondervermögen für die Soldaten sinnvoll einzusetzen.

Doch selbst im eigenen Amt haben die Mitarbeiter offenbar Selbstzweifel. Um Ostern herum sollen die zehn Abteilungsleiter des BAAINBw in einer internen Sitzung fast geschlossen einen Hilferuf abgesetzt haben, heißt es übereinstimmend aus Bundeswehrkreisen. Der Tenor: So wie es jetzt laufe, bekäme man das Geld aus dem Sondervermögen nicht schnell auf die Straße.

Christine Lambrecht (SPD) und BAAINBw-Präsidentin Gabriele Korb
Christine Lambrecht (SPD) und BAAINBw-Präsidentin Gabriele Korb

Wir haben in der Behörde nachgefragt, wo die Probleme lägen. Darauf wurde eine Reihe tiefgreifender Schwierigkeiten genannt:

Wer Hilfe braucht, muss sich im Ministerium rechtfertigen: Nach der Berater-Affäre wollte der zuständige Rüstungsstaatssekretär Benedikt Zimmer, der auch noch unter Christine Lambrecht (SPD) im Amt ist, dem großzügigen Einsatz externer Hilfe einen Riegel vorschieben. Wer Beratung will, muss seitdem im Ministerium einen Antrag stellen und nachweisen, dass die Aufgabe niemand anderes in der Bundeswehr übernehmen kann. Soweit nachvollziehbar, nur treiben die Vorschriften merkwürdige Blüten: Selbst Unterstützungsanforderungen durch die bundeswehreigene IT-Firma BWI soll als externe Hilfe gelten. Dabei wurden dort rund 250 Stellen bewilligt, um eine schlagkräftige IT-Beratung aufzubauen, um eben nicht auf externe Hilfe angewiesen zu sein. Auf Anfrage heißt es aus dem Verteidigungsministerium lapidar: "Die betreffenden Vorschriften des Geschäftsbereichs BMVg befinden sich aktuell im Überarbeitungsprozess."

Wer Beratung fordere, setze seine Karriere aufs Spiel, sagen Mitarbeiter: Seit der Berater-Affäre gilt es im BAAINBw laut Aussagen von Mitarbeitern als verpönt, Hilfe anzufordern. Bloß nicht wieder negativ auffallen, laute die Devise. Wer externe Hilfe wolle, müsse damit rechnen, dass es als Schwäche ausgelegt werde, erzählen uns Beamte. Vom "Karrierekiller" ist die Rede, von einem "Klima der Angst".

Im Vergaberecht und bei Verhandlungen hilflos: Glaubt man unseren Informanten in der Behörde, brauchten vor allem die Beamten im Vergaberecht in Koblenz Unterstützung, und zwar auch solche externer Berater. Denn intern fehlten schlicht entsprechend ausgebildete Referenten. Auch bei den konkreten Verhandlungen mit der Industrie seien die Beamten mitunter heillos den Firmen unterlegen. In manchen Runden, wo es um Milliardenbeträge geht, säßen einem BAAINBw-Beamten Dutzende Unternehmensvertreter gegenüber.

Absichern um jeden Preis: Als guter Mitarbeiter gelte im BAAINBw nicht derjenige, der viel schafft, sondern derjenige, der bei seinen Projekten eine möglichst geringe Zahl von Rügen durch die Industrie vorweisen könne, heißt es. Die Folge: Um ja keine Fehler zu machen, sicherten sich die Mitarbeiter extrem ab. So entstehen laut Insidern nicht selten Hunderte Seiten Papier, auf denen detailliert aufgeschrieben wird, warum man etwas braucht.

Keine Konsequenzen bei mangelhafter Leistung: Selbst aus Gewerkschaftskreisen heißt es: Ein Großteil der Mitarbeiter im BAAINBw sei fleißig, allerdings gebe es noch viele, die es sich auf ihrem Posten bequem gemacht hätten und gängige Vorurteile gegenüber Beamten bestätigten. Konsequenzen müssten sie deshalb nicht fürchten. Denn das Arbeits- und Beamtenrecht sei vielfach auf ihrer Seite. Ein Beispiel: Abteilungsleiter werden mit B6 (Grundgehalt: rund 10.300 Euro) bezahlt. Ist man unzufrieden mit der Leistung, bleibe oft nur die Möglichkeit, ihn oder sie wegzuloben und auf eine noch höher dotierte Stelle zu hieven, von denen es aber in solchen Ämtern nicht viele gibt. Ansonsten bleibt der- oder diejenige auf dem Posten.

Permanente Extra-Wünsche: Eigentlich ist das Prinzip einfach: Die Soldaten sagen, was sie brauchen, das BAAINBw macht einen Vorschlag in Zusammenarbeit mit der Industrie – dann wird gekauft. Doch vielfach würden in laufenden Vergabeprozessen durch die Streitkräfte immer wieder neue Anforderungen gestellt, was ein Hubschrauber, Schiff oder Flugzeug alles können muss. "Da kannst du den Prozess eigentlich immer wieder komplett neu aufrollen", sagt ein früherer Beamter der Behörde. Auch das koste extrem viel Zeit, sodass für neue Flugzeuge oder andere größere Waffen mitunter zehn Jahre oder länger ins Land gingen, bis das gewünschte Waffensystem auf dem Hof stehe.

Auffällig ist: Viele der Probleme sind auch schon vor drei Jahren im Zuge der Berater-Affäre aufgekommen. Verändert hat sich offenbar nicht viel. Und das trotz mehrerer Kommissionen und Taskforces, die eigentlich Veränderungen empfehlen sollten. Dafür wurden zig Mitarbeiter des BAAINBw befragt, Powerpoint-Präsentationen und Abschlussberichte erstellt – doch am Ende blieb es nach Ansicht von Beobachtern eher beim Kleinklein. Eine vollständige Privatisierung der Behörde, wie es seit Jahren immer wieder von außen vorschlagen wurde, um intern Abläufe und Personal straffer zu organisieren, wird bis heute abgelehnt.

Fragt man BAAINBw-Präsidentin Gabriele Korb heute danach, ob ihre Behörde mit den aktuellen Arbeitsbedingungen optimal für die 100 Milliarden aufgestellt sei, weicht sie aus. Man könne nichts bewerten, weil das Sondervermögen ja noch gar nicht entschieden sei. Eine klassische, politisch korrekte Antwort.

Modernisierung der Truppe überhaupt möglich?

Im Verteidigungsministerium ist man selbstbewusster: Man wisse um die Schwierigkeiten, weshalb Christine Lambrecht (SPD) in einer Bundestagsrede gleich zu Beginn der Legislatur im Januar versprach: „Ich werde das Beschaffungswesen gründlich modernisieren.“ Entschieden ist bereits, dass Beschaffungsaufträge bis 5000 Euro direkt vergeben werden könnten. Das solle 20 Prozent der Beschaffungen vereinfachen. Zudem gehe man an das Vergaberecht ran, um Beschaffungen weiter zu erleichtern.

Ob die Direktvergabe wirklich das Hauptproblem in Koblenz ist, kann man aber durchaus bezweifeln. Es sind in der Regel die großen Projekte, die immer wieder aufgrund ihrer Komplexität nachhaltig Schwierigkeiten machen. Und auch an die zum 1. März gegründete neue 13-köpfige Taskforce im Ministerium zur Beschaffungs-Modernisierung werden keine allzu große Erwartungen gesetzt. Diese leitet bislang ein Ein-Sterne-General. Seit 1. März dieses Jahres gab es zwar keine Arbeitssitzung der Runde, lediglich vereinzelte Gespräche – aber immerhin werden mehrere Bürokräfte beschäftigt.

Lambrechts Staatssekretärin Margarethe Sudhof kündigte darüber hinaus aber weitere Reformen an. Sie habe schließlich die Berliner Verwaltung reformiert, als sie von 2012 bis 2019 Finanzstaatssekretärin im Hauptstadt-Senat war, soll sie intern erklärt haben. Nicht wenige hätten das eher als Drohung verstanden, denn als Hoffnungsschimmer, wie uns Insider berichteten.

Zumal sogar manche Entwicklungen sogar zurückgedreht zu werden scheinen. So arbeitet das Ministerium offenbar daran, die bislang privatrechtlich organisierte bundeswehrinterne Beratung BwConsulting zu einer Behörde umzubauen. Ein Sprecher bestätigt eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung. Und macht – anders als Korb – ungewöhnlich offen klar, was die Firma von möglichen Organisationsänderungen hält: "Unsere derzeitige Aufstellung als hochspezialisierte Organisationsprivatisierung ermöglicht uns, unsere methodischen und bundeswehrspezifischen Fähigkeiten und Kompetenzen für und mit dem BMVg und der Bundeswehr schnell und agil einzubringen. Insofern erscheint uns die aktuelle Organisationsform als vorteilhaft."

Was das wiederum für das BAAINBw bedeutet, kann man nur vermuten. Und es ist zugegebenermaßen auch noch recht früh. Mit dem Ukraine-Krieg seit Ende Februar haben sich auch viele Prioritäten verschoben. Aber die Geschichte des geplanten Kaufs zweier Tank-Schiffe der Marine zeigt, dass sich an der grundsätzlichen Haltung des Ministeriums wenig geändert hat. So hatte man vor kurzem dem BAAINBw vorgeworfen, sich von der Industrie abzocken zu lassen, indem man fast 250 Millionen Euro mehr ausgibt als anscheinend nötig. Tatsächlich, so heißt es in Koblenz, habe man aber nur wieder die politischen Vorgaben des Ministeriums umgesetzt, bekomme jetzt aber wieder "auf den Deckel". Keine guten Vorzeichen also für das Sondervermögen in den nächsten Monate.