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100 Jahre und noch lange nicht alt

Wenn die DNS Schäden erleidet, sind die darauf gespeicherten Informationen schadhaft. Diese Schäden können etwa durch UV-Strahlung entstehen. Doch der Körper hat Reparatur-Mechanismen. Diese sind zentral in der Alters-Forschung. Foto: Symboldbild / gettyimages / CHRISTOPH BURGSTEDT / SCIENCE PHOTO LIBRARY
Wenn die DNS Schäden erleidet, sind die darauf gespeicherten Informationen schadhaft. Diese Schäden können etwa durch UV-Strahlung entstehen. Doch der Körper hat Reparatur-Mechanismen. Diese sind zentral in der Alters-Forschung. Foto: Symboldbild / gettyimages / CHRISTOPH BURGSTEDT / SCIENCE PHOTO LIBRARY

David A. Sinclair ist Genetiker und Autor – er forscht daran, das Altern hinauszuzögern. In seinem neuen Buch erklärt er, wie weit die Wissenschaft damit schon gekommen ist.

Das Altern ist für ihn eine Krankheit – und Krankheiten, das weiß David A. Sinclair als Genetiker mit Professur an der Universität Harvard, können behandelt werden. Noch nicht heute, dafür in Zukunft. Da ist er sich sicher. Deshalb forscht Sinclair. Sein Leben und Schaffen ist einzig der Suche nach der richtigen Behandlung gegen das Altern gewidmet. Er medikamentiert sich sogar selbst, auch seiner Frau und seinen Hunden verabreicht er Mittelchen. Mittelchen, von denen man heute schon weiß: Sie schwächen Symptome des Alterns ab.

120 Jahre jung

Die ewige Jugend ist eine alte Sehnsucht. Goethe ließ seinen „Faust“ danach streben, Oscar Wilde schenkte seiner Hauptfigur in „Das Bildnis des Dorian Gray“ Unsterblichkeit. Auch Sinclair hat vor kurzem ein Buch veröffentlicht. Es heißt „Das Ende des Alterns“ und ist eine Zusammenfassung der aktuellen Alters-Forschung. Darin beschreibt er, wie weit Genetik und Stammzellenforschung mittlerweile sind und auf welchen Wegen sie das menschliche Leben verlängern wollen.

Oder, wie es Sinclair nennt: „Die Zahl der gesunden Jahre erhöhen, die wir alle im Durchschnitt auf dieser Welt verbringen können.“ Doch nicht immer drückt er sich so zurückhaltend aus, von Sinclair stammt auch der Satz: „Der Mensch, der 150 Jahre alt wird, ist schon geboren.“ Das zeigt, Sinclair glaubt fest an seine Forschung.

Was ist Altern?

Wenn es nach Sinclair geht: Informationsverlust. Was er damit meint: Dass Informationen, die in unserer DNS gespeichert sind, mit der Zeit verloren gehen. Denn die Informationen, die Pläne für alle körpereigenen Bauteile, stecken in der Struktur unserer Gene. Und weil sich die Struktur mit der Zeit verändert, gehen dadurch Informationen verloren.

Es gibt jedoch eine begrenzte Menge Reparatur-Enzyme, die dafür sorgen, dass die DNS-Struktur aufrechterhalten wird. Diese Enzyme haben jedoch noch eine zweite Funktion, sie fungieren als Ein- und Ausschalter für die Gene. Mit der Zeit müssen sie immer mehr Schäden reparieren und vernachlässigen dadurch ihre epigenetische Funktion (das An- und Ausschalten). So können mit dem Alter weniger Pläne abgelesen und in Bauteile übersetzt werden. Die abgelesenen Informationen werden so erst ungenauer, später falsch. Es steigt laut Sinclair beispielsweise das Risiko für Entzündungen, die Haut wird faltiger und die Haare grauer.

In einem „Spiegel“-Interview sagt er: „In unseren Zellen kommt es ständig zu Brüchen des DNA-Moleküls, durch radioaktive Strahlung, durch Umweltgifte oder schlicht, wenn die Zellen sich teilen. Dann eilen epigenetisch aktive Enzyme zu Hilfe, um die DNA zu reparieren.“

Wie verjüngt er?

Diese „epigenetisch aktiven Enzyme“ sind es, auf die es Sinclair abgesehen hat. Diese körpereigenen Schutzmechanismen werden in Notsituationen aktiviert, um genetische Informationen zu schützen. Etwa, wenn nicht ausreichend Nahrung vorhanden ist oder der Körper sehr hoher Anstrengung ausgesetzt ist. Wie beim Fasten oder Sport. Deshalb plädiert Sinclair für beides.

Auch die Medikamente, die er täglich einnimmt, ahmen Effekte körperlicher Notsituationen nach. Im Spiegel erzählt er, welche das sind: „Jeweils ein Gramm Metformin, Nikotinamid-Mononukleotid und Resveratrol.“ Weil er selbst schluckt, woran er forscht, bezeichnet er sich gern als sein eigenes Versuchstier. Die drei Mittel befinden sich alle noch in der klinischen Testphase. Sie sind nicht zugelassen, um gegen das Altern zu wirken.

Aber sie sind vielversprechend. In Zellkulturen und Modellorganismen konnten Wissenschaftler zeigen, dass alle drei die Aktivität von epigenetischen Faktoren beeinflussen. Dass sie also die Effekte von Fasten und Sport simulieren und somit die DNS schützen.

Sinclair selbst verzichtet regelmäßig auf das Mittagessen, er intervallfastet. Dazu bewegt er sich viel, nimmt Eisbäder, dadurch schaltet der Körper ebenfalls in ein Notfall-Programm, er isst überwiegend pflanzliche Lebensmittel, meidet UV- und Röntgenstrahlung, die den Genen schaden und versucht seinen Body-Mass-Index im Bereich von 32 bis 35 zu halten – so fasst ein Artikel auf der wissenschaftsjournalistischen Plattform „Riffreporter“ seine lebensverlängernden Bemühungen zusammen.

Alterskrankheiten heilen

Seit dem Jahr 1840 werden Menschen alle vierzig Jahre im Durchschnitt zehn Jahre älter – in wohlhabenden Ländern wohlgemerkt. So steht es ebenfalls auf Riffreporter. Weit entfernt von dieser statistischen Entwicklung ist Sinclair nicht, wenn er sagt: „Bis 2100 können Menschen 120 Jahre alt werden.“

Mit seiner Forschung will er zudem dafür sorgen, dass Menschen bis ins hohe Alter auch gesund bleiben. Denn: Therapiert er das Altern, therapiert er gleichzeitig Alterskrankheiten. Also Krankheiten, die mit viel höherer Wahrscheinlichkeit im Alter auftreten. Herzinfarkte, Krebs, Diabetes, Alzheimer, Osteoporose – um nur wenige zu nennen. Deshalb rechnet Sinclair auch damit, dass „seine“ Behandlungen für die Gesellschaft weitaus billiger wären als die vereinten Kosten der ganzen Krankheiten.

Ethische Debatte, Sozialsysteme und potenzielle Kosten

Mit Sinclairs Forschung gehen zahlreiche Kontroversen einher. So stellen sich ethische Fragen, der „Bayerische Rundfunk“ will etwa wissen: „Wollen wir in die innersten Mechanismen unseres Körpers steuernd eingreifen, nur um womöglich zehn bis 20 Jahre mehr zu haben?“ Weiter wird gefragt, ob zum Leben nicht auch der Tod gehöre und ob nicht erst die Begrenztheit des Lebens ein erfülltes Dasein ermögliche?

Der „Deutschlandfunk“ fragt ganz unverblümt: Wohin mit all den alten Menschen und wie sollen die Sozialsysteme von heute noch mehr Rentner stemmen? Eine Gefahr ist auch, dass aus der Forschung mehr soziale Ungleichheit entsteht, wenn sich die Behandlung nur Reiche leisten können. Nur reiche Länder. Nur reiche Kontinente.

Es bleibt Zeit, Antworten auf diese Fragen zu suchen. Denn noch ist die Wissenschaft nicht soweit. Aber genauso wie die richtige Dosierung der Medikamente wichtig ist, sind es auch die gesellschaftlichen und ethischen Aspekte der Alters-Forschung. Dass ein langes Leben nicht zwangsweise glücklich macht, davon haben schon vor langer Zeit Goethe, Wilde und viele mehr geschrieben.