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Spahn verteidigt erweitertes Corona-Impfangebot für Kinder

Ein Kinder- und Jugendarzt impft eine junge Frau mit dem Corona-Impfstoff Comirnaty von Biontech/Pfizer.
Ein Kinder- und Jugendarzt impft eine junge Frau mit dem Corona-Impfstoff Comirnaty von Biontech/Pfizer.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat die geplanten zusätzlichen Corona-Impfmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche von 12 bis 17 Jahren gegen Kritik verteidigt. Es gehe um ein leichter verfügbares Angebot als bisher, weil genügend Impfstoff da sei, sich zu schützen, sagte der CDU-Politiker am Dienstag im rbb-Inforadio. "Wer will, kann sich impfen lassen - keiner muss." Wenn Eltern und Kinder sagten, dass sie noch auf mehr Daten warten wollten, sei das auch okay und kein Problem. "Es geht ausdrücklich nicht darum, Druck zu machen, den machen wir auch nicht."

Spahn wandte sich dagegen, in der Debatte einen Gegensatz zur Ständigen Impfkommission (Stiko) zu konstruieren. Der Beschluss von Bund und Ländern sei "durchaus im Einklang mit der Stiko". Das Gremium empfiehlt Impfungen von Kindern bisher nicht allgemein, sondern nur bei höherem Risiko für schwerere Corona-Verläufe etwa wegen Erkrankungen wie Diabetes. Impfungen sind laut Stiko aber mit ärztlicher Beratung möglich. Die Impfstoffe von Biontech und Moderna sind für Kinder ab 12 Jahre in der EU zugelassen.

Spahn betonte, dass bereits mehr als 900.000 Kinder zwischen 12 und 17 mindestens einmal geimpft worden seien, dies entspreche etwa 20 Prozent dieser Altersgruppe. Die Gesundheitsminister hatten am Montag beschlossen, Impfungen für 12- bis 17-Jährige in allen Ländern nun auch in Impfzentren anzubieten - so wie es in Arztpraxen schon möglich ist. Spahn sagte, er könne sich nur wünschen, dass sich möglichst viele Familien dies nun für sich überlegten. Angesichts der ansteckenderen Delta-Virusvariante gelte generell: "Entweder man wird infiziert ohne Impfschutz, oder man hat den Impfschutz."

Mit Blick auf das insgesamt langsamere Impftempo in Deutschland warb Spahn erneut für Gelegenheiten, dass sich Menschen einfach und im Vorbeigehen impfen lassen können. Er verwies zudem auf viele Hundert Millionen Corona-Impfungen, die es mittlerweile auf der Welt gebe. Es dürfte keinen Impfstoff geben, der öfter verimpft worden und damit auch in Nebenwirkungen so gut bekannt sei. Im Zweifel sei die Impfung die sicherere Entscheidung. Mit einem breiteren Impfangebot für Kinder und Jugendliche wollen die Gesundheitsminister von Bund und Ländern den Kampf gegen die weitere Ausbreitung des Coronavirus forcieren.

Lauterbach: Stiko vertritt "Außenseiterposition"

Die Stiko begründete ihre Position unter anderem mit der Datenlage, die aus ihrer Sicht bislang nicht ausreichte, um mögliche Folgeschäden auszuschließen. In anderen Ländern wie Israel laufen hingegen bereits Impfkampagnen von Kindern und Jugendlichen. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hielt der Stiko im Deutschlandfunk zuletzt eine "Außenseiterposition" vor.

Im Beschluss der Minister vom Montag wurde betont, dass bei Impfungen von Kindern und Jugendlichen ärztliche Aufklärung und gegebenenfalls das Ja der Sorgeberechtigten nötig sei. Die Angebote seien so auszugestalten, dass die "Freiwilligkeit der Annahme" nicht in Frage gestellt werde. Die Umsetzung liegt jeweils bei den Ländern. Das Impftempo in Deutschland ging zuletzt zurück, die Infektionszahlen stiegen.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek bekräftigte, er sehe in dem geplanten Angebot keinen Widerspruch zur Stiko. Eine individuelle Risikoabschätzung sei sehr wichtig, betonte der CSU-Politiker und Vorsitzende der Länder-Gesundheitsminister am Abend im ZDF-"heute journal". Einen Konflikt mit der Stiko könne er aber nicht erkennen, "weil wir ja einen Weg gehen, den die Stiko durchaus für möglich hält. Und auf dieser Basis unterbreiten wir jetzt dieses Impfangebot." Bundesminister Jens Spahn (CDU) hatte erklärt, ein solches Angebot zur individuellen Entscheidung von Eltern und Kindern stehe im Einklang mit den Stiko-Empfehlungen. Seinem Ministerium zufolge wurden bereits 900.000 Kinder zwischen 12 und 17 geimpft.

Neue Stiko-Empfehlung in Arbeit - Inhalt noch unklar

Stiko-Chef Thomas Mertens sagte dem "Spiegel" mit Blick auf eine neue Empfehlung: "Ich hoffe, dass wir das in den nächsten zehn Tagen schaffen." Den Inhalt könne er aber nicht vorausnehmen.

Bei einer Online-Veranstaltung mit der CDU-Bundestagsabgeordneten Ronja Kemmer am Abend in Ulm appellierte er an die 18- bis 59-Jährigen, sich impfen zu lassen. Sie seien bei den Geimpften unterrepräsentiert. Eine Impfung von Kinder- und Jugendlichen trage zur Herdenimmunität nicht bei. Dass in anderen Ländern aufgrund derselben Daten aus internationalen Studien andere Entscheidungen gefallen seien, verwundere nicht, fügte Mertens an. Die Auswertung der Daten und die Schlussfolgerungen seien immer mit den jeweiligen Voraussetzungen verbunden. Dass etwa in den USA so viele Jugendliche geimpft seien, sei Folge höherer Anteile an Mangelernährung, Übergewicht und Diabetes in dieser Altersgruppe.

Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, wünschte sich eine rasche Neubewertung der Stiko-Position. "Bereits heute dürfen Ärztinnen und Ärzte entsprechend der aktuell gültigen Stiko-Empfehlung nach intensiver Aufklärung Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren impfen", sagte Fischbach der "Rheinischen Post". "Das Risiko von Nebenwirkungen durch die Impfung ist extrem gering, das zeigen alle Daten aus anderen Ländern."

SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas begrüßte den Beschluss der Minister. Der Deutschen Presse-Agentur sagte sie: "Die Impfung schützt Jugendliche vor einer Erkrankung und ist ein wichtiger Baustein dafür, ihnen wieder mehr Normalität zu ermöglichen." Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, die Städte stünden bereit, Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren Impfungen zu ermöglichen. Sowohl Impfzentren als auch mobile Teams könnten das.

Hausärzte kritisieren Missachtung der Stiko-Kompetenzen

Der Deutsche Hausärzteverband kritisierte hingegen, dass die Stiko außen vor gelassen wurde. "Diese Diskussion unter Missachtung der Kompetenz der Ständigen Impfkommission kann eher zur Verunsicherung führen, als dass sie der Impfkampagne hilft", sagte dessen Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Warum eine Empfehlung der Stiko dazu zunächst nicht abgewartet werden kann, die sich auf Basis von fundierten Studien zeitnah äußern will, ist mir schleierhaft. Das Ganze klingt ein wenig nach Wahlkampfgetöse."

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat trotz der eigenen Zustimmung zum erweiterten Impfangebot die Stiko verteidigt. Man solle die Unabhängigkeit der Stiko akzeptieren, er habe Vertrauen in das wissenschaftliche Gremium, sagte der CDU-Politiker am Dienstag auf WDR 5 im "Morgenecho". Nordrhein-Westfalen werde die Stiko-Empfehlung zur Corona-Schutzimpfung von Heranwachsenden ab 12 Jahren weiter einhalten. NRW mache Kindern ab 12 Jahren bereits seit rund zwei Wochen ein Impfangebot in Praxen und Impfzentren, schilderte Laumann.

Dabei gebe es die "strenge Vorgabe", dass vor einer Impfung individuell beraten werden müsse. In NRW gehe man hier "sehr sorgsam" vor. In den Impfzentren des Landes würden bestimmte Zeiten angeboten, in denen speziell Eltern mit ihren Kindern kommen könnten und die Impfungen von Kindern- und Jugendärzten vorgenommen würden. Laumann appellierte an Eltern, Großeltern, Personal in Kitas und Schulen oder Jugendvereinen, sich impfen zu lassen. Denn das erhöhe auch den Schutz für die Kinder.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßte derweil die ab September vorgesehenen Auffrischungs-Impfungen für Risikogruppen. "Insbesondere bei den 900.000 Pflegeheimbewohnern liegt die zweite Impfung bereits ein halbes Jahr zurück", sagte Vorstand Eugen Brysch der dpa. Es sei gut, dort erneut auf aufsuchende Impfungen zu setzen, es fehle aber noch ein verbindlicher Zeitplan. Anders als zu Jahresbeginn dürften die mobilen Impfteams auch die fast 200.000 Menschen im betreuten Wohnen von Anfang an nicht vergessen. Zudem wäre es fatal, das erneute Impfangebot für Heimbewohner nicht mit einem Angebot für Pflegekräfte zu kombinieren.

Fachleute erwarten, dass eine Schutz-Auffrischung zuerst bei Menschen fällig werden dürfte, deren Immunsystem nicht so gut auf eine Impfung anspricht - etwa wegen Alters oder Erkrankungen. Und bei solchen Risikogruppen liegen die Impfungen seit Jahresbeginn schon am längsten zurück. Sie sollen daher nun ab September auch zuerst eine weitere Spritze angeboten bekommen.

Video: Minister beschließen Corona-Drittimpfungen und Impfangebote für Minderjährige