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Beate Zschäpe im NSU-Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt - Verteidiger kündigt Revision an

Beate Zschäpe vor der Urteilsverkündung (Bild: Reuters)
Beate Zschäpe vor der Urteilsverkündung (Bild: Reuters)

Im NSU-Prozess ist die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Oberlandesgericht München stellte am Mittwoch zudem die besondere Schwere der Schuld fest – damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen.

Mit dem historischen Urteilsspruch folgte das Gericht dem Antrag der Bundesanwaltschaft und verurteilte Zschäpe als Mittäterin an den Morden und Anschlägen des “Nationalsozialistischen Untergrunds” (NSU). Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer kündigte an, Revision einzulegen. Damit muss der Bundesgerichtshof das Urteil überprüfen.

Zschäpes Mitangeklagter Ralf Wohlleben ist als Waffenbeschaffer für den “Nationalsozialistischen Untergrund” zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Das Oberlandesgericht sprach Wohlleben der Beihilfe zum Mord schuldig. Auch Wohllebens Anwältin Nicole Schneiders kündigte an, Revision einzulegen.

Der Mitangeklagte Holger G. ist zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sprach G. der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung schuldig. G. hatte zugegeben, dem NSU-Trio einmal eine Waffe übergeben und den Untergetauchten mit falschen Papieren geholfen zu haben. Die Bundesanwaltschaft hatte fünf Jahre Haft gefordert, die Verteidiger hatten für eine Strafe von “unter zwei Jahren” plädiert.

Der Mitangeklagte André E. ist zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Das Gericht sprach E. allerdings nicht der Beihilfe zum versuchten Mord schuldig, wie dies die Bundesanwaltschaft gefordert hatte. Es verurteilte den 38-Jährigen, der bei der Tarnung des NSU-Trios im Untergrund geholfen haben soll, lediglich wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Die Verteidiger hatten einen Freispruch von sämtlichen Anklagepunkten für ihren Mandanten gefordert. Der Haftbefehl gegen ihn wurde nach der Urteilsverkündung durch den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl aufgehoben. Die Untersuchungshaft sei nicht mehr verhältnismäßig.

Das Gericht hat den Mitangeklagten Carsten S. zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt. Es sprach S. der Beihilfe zum Mord in neun Fällen schuldig, verurteilte ihn aber nach Jugendstrafrecht, weil er zur Tatzeit noch Heranwachsender war. S. hatte gestanden, dem NSU die “Ceska”-Pistole übergeben zu haben, mit der die Neonazi-Terroristen später neun Menschen erschossen. Die Anklage hatte eine Jugendstrafe von drei Jahren gefordert – und dabei die Aufklärungshilfe und das Schuldeingeständnis von Carsten S. positiv gewertet. Die Verteidiger hatten dagegen Freispruch gefordert – ihr Mandant habe nichts von den geplanten Morden des NSU gewusst.

Nebenklage unzufrieden mit einzelnen Urteilen

Mindestens ein Nebenklage-Vertreter will eine mögliche Revision gegen die Verurteilung zweier Mitangeklagter prüfen. Die Urteile gegen Wohlleben und André E. seien “nach unserem Dafürhalten sehr, sehr milde”, sagte Anwalt Mehmet Daimagüler nach der Urteilsverkündung dem Bayerischen Rundfunk. “Die werden wir uns mal anschauen.” Daimagüler kritisierte gleichzeitig das Urteil gegen den dritten Mitangeklagten Carsten S. “Ich bin explizit enttäuscht, dass der nochmal einfahren muss”, sagte Daimagüler. “Dieser Mann hat entscheidend zur Aufklärung beigetragen, er hat vor langer Zeit mit der Szene gebrochen.”

Gamze Kubaşık, die Tochter des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubaşık, sieht die Aufarbeitung der Morde noch nicht am Ende. “Ich hoffe nun, dass auch alle weiteren Helfer des NSU gefunden und verurteilt werden”, sagte sie laut einer von ihren Anwälten verbreiteten Mitteilung. “Wenn das Gericht ehrlich ist, wird es auch noch sagen, dass Lücken geblieben sind. Solange diese Lücken bleiben, können meine Familie und ich nicht abschließen.”

Zschäpe hatte fast 14 Jahre lang mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt. In dieser Zeit ermordeten die beiden Männer neun Gewerbetreibende türkischer oder griechischer Herkunft und eine deutsche Polizistin, zudem verübten sie zwei Bombenanschläge in Köln mit Dutzenden Verletzten. Zwar gibt es keinen Beweis, dass Zschäpe an einem der Tatorte war. Die Anklage hatte Zschäpe allerdings eine maßgebliche Rolle bei der Tarnung des Trios zugeschrieben und argumentiert, Zschäpe habe “alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mitgesteuert und mit bewirkt”. Dieser Argumentation folgte das Gericht nun mit seinem Urteil.

Zschäpes zwei Verteidiger-Teams hatten den Freispruch ihrer Mandantin von allen Morden und Anschlägen gefordert: Die 43-Jährige sei keine Mittäterin, keine Mörderin und keine Attentäterin. Zschäpe selbst hatte in schriftlichen Einlassungen geltend gemacht, sie habe von den Morden und Anschlägen ihrer Freunde immer erst im Nachhinein erfahren. “Bitte verurteilen Sie mich nicht stellvertretend für etwas, was ich weder gewollt noch getan habe”, hatte sie in ihrem persönlichen Schlusswort ans Gericht appelliert.

Zschäpes Vertrauensanwälte hatten eine Haftstrafe von unter zehn Jahren gefordert. Ihre ursprünglichen drei Verteidiger hatten die sofortige Freilassung beantragt, weil die Haftstrafe für die Brandstiftung mit der Untersuchungshaft schon abgegolten sei.

Das Auffliegen des NSU im November 2011 hatte ein politisches Beben in Deutschland ausgelöst – weil eine rechtsextreme Terrorzelle jahrelang unbehelligt von den Behörden im Untergrund leben und mordend durch die Republik ziehen konnte. Jahrelang hatten die Ermittler zuvor falsche Fährten verfolgt und den rechtsextremen Hintergrund der Taten verkannt. Stattdessen wurden engste Familiengehörige als Verdächtige behandelt und drangsaliert. In der Folge wurden Untersuchungsausschüsse des Bundestages und mehrerer Landtage eingesetzt, um teils eklatante Behördenfehler aufzuklären.