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Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim erklärt auf Youtube: "Wir brauchen noch ziemlich viel Ausdauer"

Mai Thi Nguyen-Kim, die mit Mailab auf Youtube Wissenschaft nahbar und verständlich erklärt, hat sich in einem neuen Video mit dem Coronavirus beschäftigt. Doch was sie zu sagen hat, wird für viele Menschen ernüchternd sein.

Mai Thi Nguyen-Kim macht auf Youtube Mailab, sie kann aber auch Fernsehen: Dort moderiert sie das Wissensmagazin Quarks. (Foto: WDR / Thomas Kierok)
Mai Thi Nguyen-Kim macht auf Youtube Mailab, sie kann aber auch Fernsehen: Dort moderiert sie das Wissensmagazin Quarks. (Foto: WDR / Thomas Kierok)

Über 3,8 Millionen Mal wurde das Video „Corona geht gerade erst los“ der Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim in den vergangenen vier Tagen angeklickt. Darin erklärt die 32-Jährige, die mit ihrem Youtube-Kanal Mailab für den öffentlich-rechtlichen Jugendsender Funk produziert, dass die derzeitige Coronavirus-Pandemie in Deutschland noch lange nicht am Ende sei. Sie sagt: „Ich fürchte, wie brauchen noch ziemlich viel Ausdauer.“

Herdenimmunität kann so nicht erreicht werden

Als Grund führt die promovierte Chemikerin an, dass es, solange kein gut funktionierender Impfstoff gegen das Coronavirus existiere, die Virus-Ausbreitung nur durch eine Herdenimmunität gestoppt werden könne. Dazu müssten sich 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung anstecken und wieder erholen. In absoluten Zahlen heißt das: zwischen 48 und 56 Millionen Deutsche.

Laut einer Berechnung von Nguyen-Kim hätten sich bislang aber gerade Mal höchstens ein Prozent von einer Covid-19-Infektion erholt: Denn bei 76.000 bestätigten Fallen in Deutschland und einer Dunkelziffer mit dem Faktor zehn ergebe das lediglich 760.000 Fälle. Viel zu wenig für eine Herdenimmunität. Die Johns-Hopkins-Universität führt als Zahl der Gesundeten aktuell 28.700 an (Stand: Montag, 12 Uhr).

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Harte Einschränkungen sind unumgänglich

Oder aber, erklärt Nguyen-Kim, es erkrankten in kurzer Zeit sehr viele Menschen gleichzeitig. Sie sagt dazu: „Es gibt kein Szenario, bei dem wir eine Herdenimmunität von 60 bis 70 Prozent erreichen könnten, ohne dass dabei unvorstellbare Schäden entstehen. Entweder würden wir die Kapazitäten unseres Gesundheitssystems sprengen, dabei würden erschreckend viele Menschen sterben oder wir würden diese Herdenimmunität unterhalb der Kapazität unseres Gesundheitssystems verfolgen.“ Was aber hieße, die derzeitigen Einschränkungen des öffentlichen Lebens zu lange aufrechtzuerhalten. Folgen wären immense Schäden für die Volkswirtschaft, was Existenzen und Menschenleben bedrohe.

Weil nun immer mehr Stimmen laut werden, die den 19. April als einen Wendepunkt (oder gar Endpunkt) für die derzeitigen Maßnahmen ansehen, sagt Nguyen-Kim in ihrem Video: „Diese Vorstellung ist leider realitätsferne Fantasie.“ Das Ziel könne jetzt nur sein, die Verbreitung des Virus radikal zu verlangsamen. Was wiederum nur durch harte Einschränkungen erreicht werden könne, damit die sogenannte Reproduktionszahl des Virus auf unter eins gesenkt werde. Das bedeutet, dass eine infizierte Person weniger als eine weitere Person ansteckt und die Virus-Ausbreitung somit immer langsamer vonstatten geht. Je härter die Einschränkungen, desto kleiner die Reproduktionszahl, umso schneller stoppt die Kurve.

Nicht die Kurve abflachen, sondern stoppen

Denn so lautet ihr Ziel: Die Kurve wird nicht verlangsamt, sondern gestoppt. Nguyen-Kim erklärt es so: Die Zahl der Corona-Fälle müsse wieder so klein werden, dass die Gesundheitsämter alle Fälle überblicken und nachverfolgen könnten, um gezielte Maßnahmen lediglich für die Infizierten und mögliche Kontaktpersonen durchzusetzen. Epidemiologen nennen das „Containment“, also Eindämmung. Die Krankheit soll möglichst im Keim erstickt werden. Der Vorteil: Für alle Übrigen könnte weitgehende Normalität einkehren.

Um aber zu diesem Zustand zu kommen, benötigten die derzeitigen Maßnahmen viel Zeit.

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Selbst mit Lockdown-Maßnahmen im „Wuhan-Style“, rechnet Nguyen-Kim vor, würde es 56 Tage andauern, bis wieder eine nachverfolgbare kleine Zahl von 1000 Corona-Fällen in Deutschland erreicht sei. Knapp zwei Monate. Das sei dann auch nicht das Ende der Epidemie, sondern ein Zustand, in dem „Gesundheitssystem und Wirtschaft wieder funktionieren können“.

Die derzeitigen Maßnahmen in Deutschland, also Kontaktverbot und Ausgangsbeschränkungen, würden dafür ein bis zwei Jahre benötigen – „und das geht nicht!“, sagt sie. „Flatten the Curve bis zur Herdenimmunität ist nicht durchhaltbar.“

Relative Normalität ist weit wenig von Normalität

Die Wissenschaftlerin sagt deshalb: Erst ein Impfstoff, der wohl frühestens im kommenden Frühjahr bereitstünde, könne die Epidemie beenden. „Damit wir das so lange möglichst ohne Schäden durchhalten, müssen wir jetzt mit harten Maßnahmen möglichst schnell zurück zum Containment-Modus, in dem wir dann bei relativer Normalität ausharren können."

Dennoch betont sie auch, dass trotzdem große Konzerte, vermeidbare Menschenansammlungen, gefüllte Fußballstadien, dicht gepackte Rheinstrände oder Konferenzen mindestes das ganze Jahr noch zu riskant seien. Geschweige denn die aktuellen Maßnahmen am 19. April auszusetzen. Sie sagt: „Ganz ohne Verzicht werden wir lange Zeit nicht auskommen.“

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