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Die Abschaffung des Doppelpasses wäre ein Türkengesetz

Die CSU schießt sich im Wahlkampf auf doppelte Staatsbürgerschaften ein (Bild: dpa)
Die CSU schießt sich im Wahlkampf auf doppelte Staatsbürgerschaften ein (Bild: dpa)

Bei der diskutierten Abschaffung des Doppelpasses geht es nicht um Fußball, sondern um Staatsangehörigkeit – und um jede Menge Unehrlichkeit.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es gibt Diskussionen, die kommen nur in Wahlkampfzeiten auf. In Phasen also, wo Gefühl über Vernunft steht, wo Mobilisieren wichtiger ist als Nachdenken. Es ist die Zeit der blöden Vorschläge, besonders wenn es darum geht mal Dampf nicht FÜR etwas, sondern GEGEN etwas abzulassen. So ist es mit der aktuellen Debatte um den Doppelpass.

Seine Abschaffung wäre keine Regelung für Integrationsverweigerer, sondern von Integrationsverweigerern.

Es geht um die Türken in Deutschland, auch um die Kurden, aber um es so simpel wie möglich zu halten, redet man über die nicht – also um jene, welche die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft haben, es handelt sich um ungefähr 500.000. Seit einigen Jahren gibt es diese Möglichkeit, und es findet sich kein Beleg, warum dem nicht so sein sollte.

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Oder doch? „Es mag positive Ausnahmefälle geben, aber in der Regel gilt: Der Doppelpass ist gescheitert“, sagte nun Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Er meldete sich so zum Wort, weil er sich als Kandidat der CSU für das Amt des Bundesinnenministers nach den Wahlen im Herbst ins Gespräch bringen soll, sein Chef Horst Seehofer will es so. Da kommt der Doppelpass gelegen. Und der Beleg? Den sehen Herrmann, etliche CDU-Politiker und jene von der AfD sowieso im Wahlverhalten der Deutschtürken beim Referendum in der Türkei über die geplante Verfassungsreform. Peinlicher geht es kaum.

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen

Die Rechnung gestaltet sich derart: Weil Türken für ein Weniger an Demokratie und ein Mehr an Autoritärem Dekretieren gestimmt haben, sei das ein Zeichen, ja wofür? Dass sie den weinroten Pass nicht verdient haben?

Erstens gibt es keine Zahlen darüber, wie viele dieser Doppelpassler für die Pläne des Möchtegernsultans Recep Tayyip Erdogan gestimmt haben. Wie viele von den Ja-Stimmen stammten von jenen, die nur die türkische Staatsbürgerschaft haben? Bekannt ist indes, dass rund 14 Prozent aller Deutschtürken für dieses Präsidialsystem gestimmt haben. Ein Fall für Sippenhaft?

Und die Gründe, für solch einen regimeartigen Kurs zu stimmen, sind allesamt bedauerlich, aber auch vielfältig. Ist eine Staatsbürgerschaft an politisches Verhalten zu knüpfen? Wer legt dies fest? Und was ist mit weiteren autoritären Anwandlungen, wie es sie gerade hier und da zu beobachten gibt – sollen die auch sanktioniert werden? Das hieße, dass Alexander Gauland, Björn Höcke und Beatrix von Storch ebenfalls die Staatsbürgerschaft aberkannt werden müsste. Vielleicht hätten sie es besser, sagen wir, im Schlumpfland?

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Wo von angeblichen Belegen die Rede ist, drängt sich übrigens die Frage auf, ob es vor Einführung des Doppelpasses in Deutschland um die Integration besser gestellt gewesen ist.

Cool ist halt nicht jeder

Das führt uns zum Kern: Die ganze Debatte ist verlogen, weil sie aus rassistischen Motiven heraus geführt wird, welche ihre Protagonisten aber nicht offen zugeben wollen. Man will dem Türken einfach nicht sein Recht. Man will ihn eigentlich nicht. Denn es wäre ein Türkengesetz: Ähnliche Regelungen sind nicht vorgesehen etwa für Italiener oder US-Amerikaner. Warum haben wir mit denen kein Problem? Weil es keines gibt, wie bei den Türken auch. Oder möchte jemand das Abendland aus der Mottenkiste hervorholen? Oder die Integrationsbereitschaft? Woran koppelt man die, etwa an die Sprache?

Da offenbart sich ein interessanter Kontrast, über den ich schon einmal geschrieben habe und den ich gern noch vier und fünf Mal anbringe: Wenn, zum Beispiel in Berlin-Mitte, ein Türke uns auf Türkisch darauf aufmerksam macht, dass man auf dem Bürgersteig nicht Fahrrad fahren sollte, deuten wir das als Beleg für mangelnde Integration. Wenn ein US-Amerikaner uns auf Englisch dasselbe zu verklickern versucht, finden wir es cool.

Beim Doppelpass geht es nicht, wie der Linken gern vorgeworfen wird, um Ideologie, sondern um Praktisches; etwa um Reisefreiheit und Immobilienbesitz. Er ist natürlich. Wenn ein Staat seinem Bürger vorschreiben will, dass dieser neben der einen nicht noch eine andere Staatsbürgerschaft tragen soll, dann ist er maßlos; als wäre die Staatsbürgerschaft wie eine Fußballmannschaft, und in zweien könne man ja schlecht spielen. Ganz klar: Der Pass des Lebenslandes wirkt immer schwerer. Aber um dieses zu verinnerlichen, müsste man ja über die Lebensrealitäten jener nachdenken, um die es geht. Das ist anstrengend. Und daher sind die Doppelpassgegner die wahren Integrationsgegner.

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