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Kirchen werden kleiner - 660.000 Mitglieder weniger

Türme des Wormser Doms: Die Mitgliederzahlen von katholischer und evangelischer Kirche gehen schon seit langem zurück. Foto: Andreas Arnold
Türme des Wormser Doms: Die Mitgliederzahlen von katholischer und evangelischer Kirche gehen schon seit langem zurück. Foto: Andreas Arnold

Gut die Hälfte der Deutschen gehört noch einer der beiden großen Kirchen an. Die Zahl der Katholiken und Protestanten sinkt aber kontinuierlich. Und das hat nach Ansicht eines Experten auch nicht nur mit dem demografischen Wandel zu tun.

Bonn/Hannover (dpa) - Die beiden großen christlichen Kirchen haben im vergangenen Jahr zusammen etwa 660.000 Mitglieder verloren.

Nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vom Freitag ging die Zahl der Protestanten 2017 um 390.000 Mitglieder auf 21,5 Millionen zurück, das ist eine Abnahme um 1,8 Prozent. Die Zahl der Katholiken sank nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) um 270.000 auf 23,3 Millionen. Insgesamt gehören jetzt noch 54 Prozent der deutschen Bevölkerung zu einer der beiden Kirchen. 2005 waren es noch 62 Prozent.

Die Kirchen sehen aber auch positive Entwicklungen: So blieben Taufen und Eintritte 2017 weitgehend stabil. Die Zahl der Kirchenaustritte nahm bei beiden Konfessionen leicht zu. Rund 200.000 Menschen traten 2017 aus der evangelischen Kirche aus, im Jahr zuvor waren es 190.000. Bei den Katholiken waren es 167.000 Austritte im Vergleich zu 162.000 im Jahr 2016.

Die Kirchen erklären den Mitgliederschwund vor allem mit dem demografischen Wandel in Deutschland. So starben vergangenes Jahr allein 350.000 Mitglieder der evangelischen Kirche. Der Publizist Andreas Püttmann («Gesellschaft ohne Gott») glaubt jedoch, dass man es sich mit dieser Sicht ein wenig zu einfach macht: «Der Mitgliederrückgang ist weniger demografisch als dadurch bedingt, dass die Tradierung des Glaubens in Familien, Gemeinden und Schulen nicht hinreichend funktioniert», sagte der Kirchenexperte der Deutschen Presse-Agentur. Früher kamen junge Katholiken und Protestanten nach, heute ist das in viel geringerem Maße der Fall.

Das liegt aus Sicht von Religionssoziologen weniger an einem falschen kirchlichen Angebot, sondern an allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen, an denen die Kirche nichts ändern könne: zunehmender Wohlstand, Individualisierung, Urbanisierung, vielfältige Freizeitmöglichkeiten, Bildungsexpansion, Mobilitätszunahme. «Die Selbstbezeichnung als religiöser Mensch ist seit Jahrzehnten im leichten Sinkflug», sagte Püttmann. «Nur jeder Dritte erklärt, an religiösen Themen interessiert zu sein.»

Allerdings verläuft der Schwund noch sehr gemäßigt, wenn man bedenkt, dass nur jedes zehnte Kirchenmitglied am Gottesdienst teilnimmt. «Insofern ist nicht erklärungsbedürftig, warum jedes Jahr «wieder so viele» die Kirchen verlassen, sondern, warum es so wenige sind», sagte Püttmann. «Der Aderlass der Volksparteien und vieler Vereine war größer.» Die Erklärung dafür sei, dass der christliche Beitrag für eine humane, menschenwürdige Gesellschaft noch immer sehr geschätzt werde.