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Kanzler Scholz erkennt keinen Sinneswandel bei Putin

Berlin (dpa) - Zweieinhalb Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Bundeskanzler Olaf Scholz keinen Sinneswandel bei Kremlchef Wladimir Putin entdeckt. Dies sagte der SPD-Politiker in einem am Samstag veröffentlichten Interview des Nachrichtenportals «t-online».

Dabei sei klar, dass Russland keines seiner zu Beginn genannten Kriegsziele erreicht habe. Die Ukraine sei nicht erobert worden, sondern verteidige sich mit viel Geschick, Mut und Aufopferungswillen. «Die Nato hat sich nicht zurückgezogen, sondern ihre Kräfte an der östlichen Flanke des Bündnisses sogar verstärkt. Und die Allianz wird noch stärker, wenn Finnland und Schweden der Nato beitreten.» Das russische Militär selbst habe erhebliche Verluste erlitten, weit mehr als in den zehn Jahren des Afghanistan-Feldzugs der Sowjetunion.

Scholz sagte: «Langsam sollte Putin klar werden, dass ein Ausweg aus dieser Situation nur über eine Verständigung mit der Ukraine führt.» Er machte klar, eine Vereinbarung könne kein Diktatfrieden Russlands sein. Scholz hatte am Freitag mehr als eine Stunde lang mit Putin telefoniert.

Waffenlieferungen: «Ja, wir werden weitermachen.»

Scholz sagte zugleich der Ukraine erneut weitere Unterstützung zu, etwa durch Waffenlieferungen. «Ja, wir werden weitermachen. Auch mit Sanktionen. Weil es unser Ziel ist, dass der russische Invasionsversuch scheitert. Das ist der Maßstab für unser Handeln.»

Der Kanzler betonte: «Für Putins wahnwitzige Idee, das russische Imperium vergrößern zu wollen, zahlen Russland und die ganze Welt gerade einen sehr hohen Preis.» Viele Länder litten darunter, dass die Ukraine als einer der Hauptlieferanten von Getreide ausfalle. «Da geht es um echten Hunger - nicht wie bei uns nur darum, ob ausreichend Sonnenblumenöl in den Supermarktregalen steht.»

Scholz stellt sich hinter Verteidigungsministerin

Scholz stellte sich in dem Interview auch vor die wegen eines Mitflugs ihres Sohnes in einem Regierungshubschrauber in die Kritik geratene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (beide SPD). Auf die Frage, ob sie eine Belastung für seine Regierung sei, sagte Scholz in dem Interview: «Ich bin sehr sicher: Wenn man in drei Jahren auf die Wahlperiode zurückblickt, wird es heißen: "Sie ist die Verteidigungsministerin, die dafür gesorgt hat, dass die Bundeswehr endlich ordentlich ausgestattet ist."» Auf die Festellung, dass dies eine kühne Prognose sei, entgegnete der Kanzler: «Nein».

Lambrecht hatte in einem Regierungshubschrauber zu einem Truppenbesuch in Norddeutschland Mitte April ihren 21-jährigen Sohn mitgenommen, ohne dass dieser an dem Militärbesuch selbst teilnahm. Am nächsten Tag und nach einer Hotelübernachtung ging es mit Auto und Personenschützern auf die nahe Insel Sylt.

Lambrecht hatte am Mittwoch Verständnis für öffentliche Kritik an dem Mitflug geäußert. Zugleich kündigte sie Konsequenzen an, damit solche Vorwürfe künftig nicht mehr möglich seien. Details nannte sie nicht. Das Verteidigungsministerium hatte darauf verwiesen, dass Lambrecht den Flug regelkonform beantragt und die Kosten voll übernommen habe.

Streit über Sondervermögen bahnt sich an

Die Bundesregierung will die Bundeswehr mit einem Sonderprogramm von 100 Milliarden Euro stärken und damit Ausrüstungslücken schließen. Dieses Sondervermögen soll im Grundgesetz verankert werden, wozu eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich ist. Zunehmend umstritten ist jedoch, wofür das Geld ausgegeben werden soll.

Scholz sagte in dem Interview, er wünsche sich zur Realisierung des Vorhabens eine «patriotische Mehrheit». Einen radikalen Sparkurs der Union machte er für den Zustand der Bundeswehr verantwortlich. Mehrere Unionspolitiker wiesen dies bei «t-online» zurück. CDU-Generalsekretär Mario Czaja sagte dem Portal: «Scholz wünscht sich jetzt eine patriotische Mehrheit, weil es keine Kanzlermehrheit gibt. Das ist die Wahrheit.»

Auftritt im Verteidigungsausschuss: «Keine Kritik wahrgenommen»

Angesprochen auf die von Wirbel begleitete Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestag am Freitag, in der Scholz zu Gast war, sagte der SPD-Politiker: «Ich habe da keine Kritik wahrgenommen, im Gegenteil: Die Ausschussvorsitzende hat sich bei mir für meinen Auftritt und die Auskünfte ausdrücklich bedankt.»

Der FDP-Politiker Marcus Faber hatte die Sitzung vor dem offiziellen Ende verlassen und dann kritisiert, Scholz habe eine Chance gehabt, sich zur Ukraine zu erklären. «Leider wurden viele Antworten nicht gegeben. Ich hoffe, dass wir dies nachholen können», schrieb er auf Twitter und fing sich selbst scharfe Kritik aus den eigenen Reihen ein. Die Ausschussvorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) hatte Scholz eingeladen. Scholz war im Zuge des Ukraine-Kriegs bisweilen Zögerlichkeit vorgeworfen worden, auch aus den Reihen der eigenen Ampel-Koalition.