Kommentar: Andrij Melnyk und Elon Musk drehen auf

Der Multiunternehmer versucht sich in Außenpolitik – und scheitert. Der scheidende ukrainische Botschafter versucht sich in Diplomatie – und scheitert. Twitter regiert eben doch nicht die Welt.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Multiunternehmer Elon Musk bei einer Pressekonferenz im August (Bild: REUTERS/Adrees Latif)
Multiunternehmer Elon Musk bei einer Pressekonferenz im August (Bild: REUTERS/Adrees Latif)

Man kann nicht sagen, dass Elon Musk nicht selbstbewusst sei. Er ist Pionier bei bargeldlosem Zahlen, Elektroautos und Raumfahrt. Um ein paar andere Technologien der Zukunft kümmert er sich auch. Letztlich wollte er Twitter kaufen, aber da übernahm sich Elon Lasst-mich-nur-machen Musk. Nun verwechselte er Twitter mit einer Art globalem Parlament. Und meinte, eine grandiose Idee zu haben.

Musk präsentierte einen Lösungsvorschlag zur Beendigung des Krieges in der Ukraine. Demnach würde in den vier nun vom Kreml annektierten Gebieten in der Süd- und Ostukraine Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja unter Aufsicht der Vereinten Nationen neu abgestimmt. Russland müsse die Gebiete verlassen, schrieb er generös, wenn es der Wille der Menschen sei. Die Ukraine werde neutral. Die 2014 von Russland annektierte Halbinsel Krim solle Moskau zugeschlagen werden. Gleichzeitig würde die Wasserversorgung der Krim über den Kanal vom Fluss Dnipro garantiert werden. Das Szenario sei im Gegensatz zu einem Atomkrieg „sehr wahrscheinlich“.

Also, gegen Ideen ist ja nichts einzuwenden – zumal es darum geht, wie dieser Krieg enden könnte. Doch würde jene von Musk umgesetzt, sähe es so aus: Lügenverbrecher Wladimir Putin bekommt die Chance, sich mit Gewalt erbeutetes Territorium einzuverleiben. Und die Abstimmung solle laufen, solange noch russische Soldaten im Gebiet sind? Die schon gemordet und eingesperrt haben, die erpresst und geteilt haben? Und da soll es eine Aufsicht der UN geben, etwa von Blauhelmen mit Rosen am Revers? Dieser Gedanke ist Kokolores. Und die Ukraine braucht nicht neutral zu werden, sie ist es gerade; die Nato ist derzeit nicht sehr erpicht darauf, den ukrainischen Staat aufzunehmen. Und nun über die Krim zu schreiben, die seit 2014 in russischer Hand ist, erscheint deplatziert – wie es auch komisch ist, wenn ukrainische Politiker unverdrossen davon reden, die Krim militärisch aus Russlands Kontrolle zu reißen. Natürlich ist die Krim ukrainisch. Aber es geht gerade nicht um sie – sondern um die Abwehr des russischen Versuchs, sich große oder alle Teile der Ukraine zu schnappen, das Ukrainische der Vergessenheit anheim geraten zu lassen. Über die Krim wird zu reden sein, aber nicht jetzt.

Dicke Hose, dicke Sprüche

Nicht überraschend, dass Musks Ideen auf ukrainischer Seite keine Begeisterungsstürme auslösten, hatte Musk seine Gedankenblitze doch auch gleich zur „Abstimmung“ auf Twitter gestellt, was höchst pseudodemokratisch ist. Wer darf denn etwas zur Abstimmung stellen? Ab welcher „Follower“-Größe? Und Musk qualifiziert sich als Wahlentwurfgeber, weil er reich ist und eine große Klappe hat? Welche Auswirkung hätte solch ein Votum? Es ist alles nur Schall und Rauch. Schädlich. Zum Vergessen.

Es gibt aber einen anderen Twitterer, der agiert ähnlich. Andrij Melnyk, scheidender Botschafter der Ukraine in Berlin, benutzt Twitter zum Mobilisieren. Das ist nicht nur sein Recht, sondern in Teilen seine Pflicht als Vertreter eines Landes, das unschuldig unter Beschuss geraten ist. Doch auch Melnyk erhöht sich wie Musk und maßt sich an, was nur Leute machen, die denken, sie würden in den Sozialen Medien ein unsichtbares Reich regieren.

„Das einzige Resultat ist, dass kein Ukrainer jemals Ihren verdammten Tesla-Mist kaufen wird“, schrieb Melnyk dem Tesla-Chef auf Twitter. „Fuck off is my very diplomatic reply to you.“ Ich hab nachgeschaut: In den Aufgabenbereich eines Botschafters gehört nicht die Vorschrift, den eigenen Landsleuten zu erzählen, welche Autos sie kaufen sollen oder nicht. Melnyk übt sich in billigem Populismus. Jede Ukrainerin und jeder Ukrainer kann entscheiden, einen Tesla zu kaufen oder nicht – und dies ist unabhängig vom jeweiligen „Patriotismusgrad“ zu sehen, von dem Melnyk eine ordentliche Portion zu haben scheint. Außerdem scheint mir „Fuck off“ wenig diplomatisch zu sein.

Keine Ahnung, wofür sich Melnyk gerade warmläuft. Vielleicht wird er Twitter-Chefattackierer im Außenministerium. Jedenfalls war er schon mal ernster, seriöser und witziger.

Ein schriller Sound im Ohr

Vor drei Tagen lief er ebenfalls heiß, als er sich Angela Merkel vornahm. Die Ex-Kanzlerin macht sich mit öffentlichen Äußerungen zum Weltgeschehen rar, und nun sagte sie tatsächlich doch etwas: Es müsse langfristig an einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur gearbeitet werden, fordere sie – „auch unter Einbeziehung Russlands.“ Das ist banal, schlicht und wahr.

Gute Politik bedeutet, immer auch vom Ende her zu denken. Langfristige Planung ersetzt kein aktuelles Krisenmanagement, weist aber über den Tellerrand hinaus – oder in diesem Falle über den Schützengraben. Natürlich braucht es eine Sicherheitsarchitektur, in der möglichst viele Länder eingebunden sind – und wenn dies mit Russland gelänge, umso besser. Der jetzige russische Staat ist dazu nicht im Entferntesten in der Lage. Aber Russland ist nicht wegmeditierbar, es wird den russischen Staat auch nach Putin geben. Und immer werden seine Nachbarstaaten sich zu ihm zu verhalten haben. Doch für Melnyk gibt es diese Perspektive nicht. „Diese grenzwertige Besessenheit der Alt-Kanzlerin mit Terrorstaat-Russland macht fassungslos. Am Tag, wenn Putin 15% der Ukraine raubt, schwärmt Frau Merkel von ‚Einbeziehung Russlands‘ zur europäischen Sicherheitsarchitektur. Das klingt für Ukrainer fast pervers.“ Erstens: Merkel hat nicht geschwärmt, dieser öffentlichen Regung ist sie recht absent. Zweitens: Merkels Mahnung bezieht sich nicht auf „am Tag“, sondern auf die langfristige Zukunft. Und drittens: Was Ukrainer, Belgier oder Österreicher für „fast pervers“ halten, ist jederfrau und jedermanns Sache. Da hat Melnyk, wie beim Autokauf, gar nichts mitzureden, es sei denn, er meint nur sich selbst.

Bei all den militärischen Erfolgen, welche die Ukraine gerade zum Glück erringt, ist ein Durchblick vonnöten: Es geht um die Verteidigung jener Gebiete, die seit dem Februar dieses Jahres angegriffen wurden. Es geht darum, dass Putin nicht ein Jota Vorteil aus seinen miesen Aktionen zieht. Es geht indes nicht darum, nun einen Kampf um die Krim loszutreten. Und, wirklich zum Glück, eigentlich ist es ziemlich egal, was wer auf Twitter schreibt.

Im Video: Melnyk an Musk: "F**k Off" nach "Friedensplan"