Kommentar: Friedrich Merz blinkt rechts die AfD hoch

Friedrich Merz beim Wahlkampf in Berlin im Februar dieses Jahres (Bild: REUTERS/Lisi Niesner)
Friedrich Merz beim Wahlkampf in Berlin im Februar dieses Jahres (Bild: REUTERS/Lisi Niesner)

Der CDU-Parteichef verachtet die AfD. Friedrich Merz bekräftigt auch, nie mit ihr koalieren zu wollen. Das ist ernst gemeint. Aber dennoch macht der Oppositionsführer immer wieder den Fehler, ihr bei blöden Sprüchen nachzueifern. Das wertet das Original auf. Stattdessen bräuchte die CDU mehr Selbstbewusstsein. Ein „Best of“ seiner trashigsten Zitate.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Am Wochenende meinte Friedrich Merz wohl, etwas unternehmen zu müssen. Die AfD kletterte in den Umfragen, zog mit SPD und Grünen gleich. Potzblitz, dachte da sicherlich der CDU-Parteichef in den Rückspiegel blickend, da setz ich gleich den Blinker an. Abstand muss sein.

Nur blinkt Merz seit Jahren nur konsequent nach rechts. So meint er, nicht überholt werden zu können. Was er aber bis heute nicht checkt: Damit leuchtet er der AfD die Piste vor ihr weiträumig aus. Für diese tolle Pionierarbeit wird ihm Tino Chrupalla bestimmt mal einen Strauch schwarzer Rosen schicken.

Die AfD hat bei der Sonntagsfrage deutlich zugelegt, wie aktuelle Zahlen zeigen (Grafik: dpa/A. Brühl)
Die AfD hat bei der Sonntagsfrage deutlich zugelegt, wie aktuelle Zahlen zeigen (Grafik: dpa/A. Brühl)

Da der Oppositionsführer aber nicht wirklich etwas unternehmen wollte, es war ja Wochenende, griff er zum Smartphone und tweetete ein wenig. Es sollte erklärend, weise klingen. Und dennoch auch hammerhart. Heraus kam sowas:

„Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar hundert Stimmen mehr zur #AfD“, schrieb Merz. „Gegenderte Sprache und identitäre Ideologie werden von einer großen Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr nur im Stillen abgelehnt. Sie werden als übergriffig empfunden.“

Das war natürlich erstmal grotesk, direkt ein wenig lustig. Aber die Strategie, die hervorlugt, ist es nicht. Ich stelle es mir: Da schaut man die „tagesschau“, hört ein „…innen“ und dreht durch. Wird konkret getriggert. „Schatz, jetzt wähl ich die…“ – meint Merz, dass Wählerverhalten derart aussieht? Eine geringere Ansicht vom Wähler kann er kaum haben.

Über die gegenderte Sprache werden lauter Nebelkerzen abgeschossen. Sie wird aufgeblasen. Sie erhält eine Bedeutung und Wichtigkeit, die mit dem wirklichen Leben wenig zu tun haben. Dies lenkt von Fakten ab. Und das ist so sad.

Merz wird es besser wissen: Solange gegenderte Sprache nicht auferlegt wird, kann sie nicht übergriffig sein. Jeder ist frei, seine Sprache zu schustern, wie er will – nur ein paar Regeln sollten einzuhalten sein. Aber würde jemand auf die Idee kommen, sich wegen der Kommaregeln derart diskriminiert und angefasst zu fühlen, dass man eine andere Partei wählt?

Merz übt sich in plumpem Populismus. Er konstruiert eine Chimäre, um sie vor der Haustür von SPD, Grünen und FDP parken zu können. Dann macht er sich davon mit seinem intellektuellen Fauxpas.

Denn Gendersprache ist kein Zwang. Man benutzt sie oder eben nicht. Alles andere ist Kokolores.

Und noch mehr: Damit heizt Merz Verschärfungen in der Gesellschaft nur an, als wünschte er sich dies. Die AfD träumt ganz offen von jeder Katastrophe. Wir wissen von Mitschnitten, in denen ihre Funktionäre sich davor fürchten, dass eine Krise nicht krisenhaft genug ausfällt – denn dann können sie diese nicht so toll ausbeuten. Die „Sprecher“ des Volks sind im Grunde ihre größten Feinde, weil sie ihm Schlechtes wünschen. Aber soll das nun Merzens Stil werden?

Das ist es leider seit einiger Zeit. Merz muss ab und zu einen gegen Andere raushauen. Das hat weniger mit notwendiger Streitlust zu tun, sondern der Neigung, sich dadurch größer zu machen, indem man Andere stutzt. Psychologisch ein dürftiger Move, den gibt es bei Links und Rechts.

Sozialtourismus

Im Jahr 2022 kommentierte Merz den Umstand, dass viele Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, aber dennoch auf Heimatbesuch waren – und zwar als „Sozialtourismus". Zwar nahm er die Aussage zurück. Aber bestenfalls ist ihm Unkenntnis einer Kriegslage vorzuwerfen. Situationen geraten schnell als gefährlich und bleiben es. Wenn eine kurze Pause entsteht, ein Korridor, sprach nie etwas für einen kurzen Heimatbesuch und entkräftete nicht die Notwendigkeit einer sicheren Aufnahme; aber Merz degradierte Fliehende zu Touristen, die nur Sozialgeld abkassieren wollen.

Einen Makel suchen oder erfinden

Über die bekannteste Klimaaktivistin der Welt sagte er: „Auf der einen Seite ist Greta Thunberg bewundernswert, aber auf der anderen Seite ist sie krank.“ Keine Ahnung, was ihn ritt. Vielleicht wollte Merz angelesenes Halbwissen über Autismus loswerden, mit dem Thunberg lebt. Auf jeden Fall wollte er kommunizieren: Hört der nicht so genau hin. Die ist doch…

Auch zu Greta Thunberg hatte Merz was zu sagen (Bild: Tim Whitby/Getty Images)
Auch zu Greta Thunberg hatte Merz was zu sagen (Bild: Tim Whitby/Getty Images)

Wetterphilosophie

Kurz nach dem Rückzug seiner Vorgängerin Annette Kramp-Karrenbauer vom Parteivorsitz unkte Merz, es sei reiner Zufall, „dass Tiefs im Augenblick Frauennamen tragen“. Peng. Nachtigall, ick hör dir trapsen. Seine Botschaft: Frauen kriegen weniger auf die Reihe. Und Pech bringen sie auch. Autsch.

Bloß nicht nach rechts schimpfen

Zwei Tage nach dem Sturm eines rechtsradikalen Mobs auf das US-Parlament tweetete Merz: „Wir haben in den letzten Jahren den rechten #Terror ebenso wie den Terror des politischen #Islam unterschätzt. Dagegen müssen wir mit allen Mitteln des Rechtsstaats vorgehen – genauso übrigens gegen #Linksextremismus. Dabei können wir uns auf unsere #Polizei verlassen."

Was wollte Merz uns mit solcher Sauce sagen? Eindeutig rechtsradikal gesonnene Menschen wollten in den USA das politische System kapern. Und Merz redet von politischem Islam und Linksextremismus. So, so: Haben radikale Muslime oder Linke Ähnliches in den USA oder in Europa versucht? Welches Parlament wurde erstürmt, welches Regierungsoberhaupt sollte dadurch an die Macht kommen? Bestenfalls druckst Merz herum. Aber lieber beißt er sich ein Stück Zunge ab, als die Gefahren genau einzuordnen.

Der Knacks mit der Sexualität

Irgendetwas reitet Merz, auch gegen sexuelle Minderheiten auszuteilen. Vielleicht meint er, das gehört sich so unter Rechten. Und um die wirbt er ja. Über den damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit sagte er einmal: „Solange Wowereit sich mir nicht nähert, ist mir das egal“ – damit bemühte er das unrichtige Vorurteil, Homosexuelle würden mehr an Sex denken, und man müsse in ihrer Nähe auf seine Hose aufpassen. Und in einem „Bild“-Talk über einen schwulen Kanzler brachte er doch das Kunststück hin: „Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft – an der Stelle ist für mich allerdings eine absolute Grenze erreicht –, ist das kein Thema für die öffentliche Diskussion.“ Niemand hatte nach Kindern gefragt. Aber Merz hatte es im Kopf. Denn homosexuelle Menschen, so seine Schublade, sind nicht nur notgeil (Wowerereit-Zitat), sondern auch latent pädophil. Und da ist Merz ein ganz starker, da ist für ihn eine „absolute Grenze erreicht“.

Das Kalkül hinter diesen Sprüchen ist augenscheinlich: Merz macht kleinere Gruppen aus und drischt los – in der Hoffnung, sich dadurch aufzuhübschen. Und nebenbei eröffnet er einen Nebenschauplatz nach dem anderen, was von den wirklichen Problemen des Landes ablenkt. Was nur beweist, dass konservative Regierungen weltweit weniger für ihr Land tun. Sie machen zu viel Budenzauber.

Merz will damit Abstand zur AfD wahren. Doch damit erreicht er nur das Gegenteil.