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Kommentar: Nach Gefühlsausbruch von Olaf Scholz – davon bitte mehr!

Kanzler Olaf Scholz fährt bei einer Veranstaltung aus der Haut: Protestierer buhen ihn aus, da kontert er emotional. Fasst genau zusammen und spricht so, dass man ihn versteht. Ein ab und zu emotionaler Kanzler kann nicht schaden – wer will schon ständig einen schweigsamen, in sich lächelnden Scholz-o-mat?

Ein Kommentar von Jan Rübel

Kanzler Olaf Scholz (SPD) in der Kantine der Fregatte
Kanzler Olaf Scholz (SPD) in der Kantine der Fregatte "Mecklenburg-Vorpommern" während eines Manöverbesuchs am Montag (Bild: Kay Nietfeld/Pool via REUTERS)

Da lächelte der Mann nicht mehr, den Markus Söder einst mit einem „schlumpfigen Grinsen“ zu beschreiben versucht hatte. Der Kanzler war angefasst: Am vergangenen Wochenende besuchte Olaf Scholz ein Europafest der SPD, und er wurde nicht nur freundlich begrüßt, sondern auch Gegnern seiner Politik waren da – vor allem Kritiker einer militärischen Unterstützung der Ukraine und so genannte selbst erklärte Volksrepräsentanten. „Kriegstreiber“, rief man ihm zu, und „Frieden schaffen ohne Waffen“, „Wir sind das Volk“ oder schlicht „Hau ab“.

Letzteres war komisch, weilte Scholz doch bei seiner eigenen Veranstaltung, war sozusagen Hausherr, während die Kritiker eher nicht SPD-Mitglieder gewesen sein werden. Aber wer schon meint, man sei das Volk, ist auch zu anderen Irrtümern fähig.

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Jedenfalls schaute der Kanzler dann grimmig und alles andere als schlumpfig. Okay, diese Beschreibung ist auch fies – hätte Söder recht, wie sollte man sein Lächeln beschreiben, als eines direkt aus Barad-dûr in Mordor?

Und dann legte Scholz los. „Liebe Schreihälse", rief er am Freitag vor der Stadthalle in Falkensee bei Berlin, denn zuhören wollten die Protestierer wirklich kaum. Wladimir Putin sei „der Kriegstreiber", „der hier von euch ausgeschrien wird, wenn ihr irgendeinen Verstand in euren Hirnen hättet". Und: „Ja, das ist notwendig, wenn ein Land angegriffen wird, dann muss es sich, dann darf es sich verteidigen, was denn sonst?“

Ferner: „Putin will die Ukraine zerstören“, er habe viele Bürgerinnen und Bürger, auch Kinder und alte Menschen, getötet. „Das ist Mord." Scholz betonte: „Frieden und Freiheit sind von diesem Angriffskrieg bedroht." Scholz sprach auch die infrastrukturellen Zerstörungen an, Häuser und Straßen, Autobahnen – das war alles noch vor dem heutigen Dammbruch bei Cherson; noch ist unklar, wer den Stausee zum Fluten gebracht hat. Aber ein Motiv dafür finde ich nur auf einer Seite.

Was erlauben „Volk“?

Zugegeben, das mit dem Verstand im Hirn war harter Tobak und wirkte ein wenig arrogant. Aber tatsächlich blenden die sich jeder militärischen Solidarität mit der angegriffenen Ukraine verweigernden Pazifisten eine Menge Fakten aus. Und Scholz gilt schon als ungeduldig und von Selbstbewusstsein durchdrungen, eine helle und rasche Auffassungsgabe hat er durchaus. Da wird man leichter arrogant als andere. Sein Ausbruch vom vergangenen Freitag sei verziehen.

Denn Scholz zeigte klare Kante. Dass er sich ärgerte, hoffentlich nicht wegen der Schmähungen seiner Person, sondern der Verhohnepipelung der bedrängten Ukrainer, die sowas gerade nicht gebrauchen können, ist verständlich. Und es ist auch nicht so, dass er klare Ansagen nicht könnte: Man denke an die „Zeitenwende“, den „Wumms“ und den „Doppel-Wumms“.

Ein bisschen mehr könnte es schon sein

Nur zeigt der Kanzler sehr oft ein anderes Gesicht. Debatten in der Ampel lässt er unkommentiert laufen, bis sie kaum einzufangen sind. Fragen von Journalisten weicht er schmallippig bis abweisend aus. Und versucht sich ein wenig sehr in der Wirkung, die einst sein Vorbild Helmut Schmidt erzielte: die des kühlen Hanseaten, der wortkarg das Vertrauen entgegennimmt und zu aller Zufriedenheit führt. Scholz sieht sich bestimmt nicht unähnlich. Aber die Zeiten haben sich geändert.

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Schmidt musste nicht entscheiden, ob er Social Media einsetzt. Heute stehen Politiker stets vor der Frage, zu welchem Pups sie sich äußern sollen oder nicht. Und ein Stück weit macht die mediale Enthaltsamkeit des Kanzlers Sinn, da dies zu weniger inhaltlichen Angriffsflächen führt und man ihn mehr nach seinen Taten beurteilt. Aber dann müssen erstens mehr Taten her und zweitens gehört Klappern immer mehr zum Handwerk.

Das mag Scholz bedauern. Und er muss nicht gleich einen Volkshochschulkurs zur Ausbildung zum Zirkuspferd buchen. Wenn er aber weniger schweigt und weniger scholz-o-mat-artig spricht, umso weniger arrogant wirkt er. Und dies ist seine offene Flanke. Die sollte er einhegen.