Kommentar: Was hat das Verkehrsministerium gegen Seenotrettung?

Ein Mann hält beim Aussteigen in seinen Armen seine Kinder. Aus Syrien geflohen haben sie gerade die Wasserpassage zwischen der Türkei und Griechenland geschafft (Bild: REUTERS/Yannis Behrakis)
Ein Mann hält beim Aussteigen in seinen Armen seine Kinder. Aus Syrien geflohen haben sie gerade die Wasserpassage zwischen der Türkei und Griechenland geschafft (Bild: REUTERS/Yannis Behrakis)

Das Bundesverkehrsministerium plant eine Verschärfung der Schiffsicherheitsverordnung. Das klingt sperrig und abstrakt. Dies würde aber die private Seenotrettung im Mittelmeer erschweren. Damit bestraft die Politik Leute, die den Job der Politik erledigen – erbärmlicher geht es kaum.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Von Volker Wissing ist man mittlerweile gewöhnt, dass der durchaus talentierte und sympathische FDP-Politiker zum Ritter von trauriger Gestalt schrumpft. Der Verkehrsminister sperrt sich gegen die anderen EU-Länder bei Verbrennungsmotoren und will Autobahnen im ausgebauten Deutschland weiter ausbauen. Beim Klimaschutz macht er auch so gut wie alles falsch, nämlich nichts. Man sieht an Wissing gerade, dass die organisierte Liberalität in Deutschland recht inhaltsleer daherkommt.

Doch nun setzt er noch einen drauf.

Seine Behörde sorgt sich um die Schiffssicherheit. Vordergründig. In einem Entwurf, welcher der Fernsehsendung „Monitor“ vorliegt, sollen Schiffe mit „politischen (…) und humanitären Aktivitäten oder vergleichbaren ideellen Zwecken“ nicht mehr zum Freizeitbereich gehören. Die Konsequenz: Viel mehr Kosten durch Umbau, neue Technik, härtere Versicherungsbedingungen und anderer Kram. Adressiert sind vor allem die kleineren Schiffe, die rasch vor Ort sind, um Schiffbrüchige zu retten.

Verkehrsminister Volker Wissing. (Bild: Emmanuele Contini/NurPhoto via Getty Images)
Verkehrsminister Volker Wissing. (Bild: Emmanuele Contini/NurPhoto via Getty Images)

Das Bundesverkehrsministerium antwortete auf eine Anfrage von „Monitor“, „das Vorhaben zielt nicht auf die Behinderung von privater Seenotrettung im Mittelmeer ab“, sondern darauf, „deren Arbeit abzusichern“. Das klingt freundlich, ist aber eine Nettigkeit, die von den Hilfsorganisationen brüsk zurückgewiesen wird. Denn sowas braucht man nicht.

Worum geht es eigentlich wirklich?

Bisher gab es keine Probleme mit der Sicherheit an Bord. Stattdessen erleben die Retter eine Schikane nach der anderen. Was Wissings Ministerium plant, hätte eine Erschwerung zur Folge, eine Verteuerung und damit den Umstand, dass Schiffe nicht mehr wie bisher auslaufen könnten.

Ähnlich gehen italienische Behörden seit Jahren vor, indem sie mit Versicherungs- und Technikfragen die Rettungsschiffe am Auslaufen hindern (immer zu Unrecht, wie Gerichte bestätigten) und nun, mit der aktuellen Rechts-Regierung, von den einlaufenden Schiffen verlangen, dass sie einen ihnen zugewiesenen Hafen ansteuern und nicht den nächsten. Das soll ihre Route verlängern und dafür sorgen, dass weniger Menschenleben gerettet werden können. Es ist unmenschlich im Wortsinn.

Wissing führt fort, was sein Amtsvorgänger, der mittlerweile in die Vergessenheit schwebende Andi Scheuer, auch schon versuchte und damit gerichtlich scheiterte. Nun also ein erneutes Manöver.

Wissings Amtsvorgänger Andi Scheuer. (Bild: Bruno de Carvalho/SOPA Images/LightRocket via Getty Images)
Wissings Amtsvorgänger Andi Scheuer. (Bild: Bruno de Carvalho/SOPA Images/LightRocket via Getty Images)

Jede Entscheidung hat konkrete Folgen

Es ist krass: Wissing kommt aus einer calvinistischen Familie, begleitete jahrelang Gottesdienste auf der Orgel. Die evangelische Kirche hat sich selbst an einem Rettungsschiff beteiligt. Man wird sich einiges zu sagen haben.

Es ist doppelt krass: Die privaten Rettungsschiffe von Hilfsorganisationen durchkreuzen das Mittelmeer nur deshalb, weil die Anrainerstaaten und die mit ihnen verbundene EU nicht ihren Verpflichtungen nachkommen. Vor Jahren gab es eine funktionierende Küstenwache, die rettete, die Operation „Mare Nostrum“. Doch die EU-Staaten entzogen sich dem. Seitdem schaut die Grenzüberwachungsagentur „Frontex“ zu. Das mörderische Meer und die Fliehenden bleiben mit sich allein.

Die furchtbaren Folgen konnte man erst vor ein paar Tagen erleben, als ein Schiff mit Fliehenden an der Küste Süditaliens vor Crotone auseinanderbrach und zahlreiche Menschen starben. Eine konsequente Schiffsmission hätte das Unglück womöglich vermieden.

Wissing hat die Wahl. Entweder er erfreut Pegida-Demonstranten, die es lustig fanden, in diesem Fall laut „Absaufen, Absaufen“ zu skandieren. Oder er macht seinen Job und schaut in den Koalitionsvertrag. Dort steht: „Die zivile Seenotrettung darf nicht behindert werden.“