Kommentar: Was wir an Angela Merkel vermissen werden

Und ich werde doch Feuerwehrmann! Angela Merkel bei einem Besuch der Jugendfeuerwehr in Berlin-Wedding. Ihre Kanzlerschaft prägte ganze Generationen (Bild: REUTERS/Axel Schmidt)
Und ich werde doch Feuerwehrmann! Angela Merkel bei einem Besuch der Jugendfeuerwehr in Berlin-Wedding. Ihre Kanzlerschaft prägte ganze Generationen (Bild: REUTERS/Axel Schmidt)

Spätestens bis zum Ende dieses Jahres ist Angela Merkel noch Kanzlerin – dann tritt sie ab. Was wird von ihr bleiben? Eindrücke von einer, die unaufgeregt den politischen Acker durchpflügte.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Diese Wette gehe ich ein: Selbst jene, die seit Jahren voller Inbrunst auf Plätzen „Merkel muss weg“ gerufen haben, werden der Kanzlerin eine kleine Träne hinterherweinen. Nicht nur, dass ein lieb gewonnenes Feindbild wegfällt, sondern: Man hat sich an sie gewöhnt. Seit 2005 regiert Angela Merkel Deutschland. Es wird in diesem Herbst 16-Jährige geben, die unter ihrer Kanzlerschaft geboren worden sind und die dieses Amt ganz selbstverständlich auch in den kommenden Jahren mit ihr verbinden werden; nicht zu vergessen, dass Merkel seit 1991 in wichtigen Ämtern waltete.

Unabhängig davon, wie man zu Merkels Politik steht, ist anzuerkennen, dass sie große Schuhe hinterlässt. Sie ist kein Jimmy Carter und auch kein Gerhard Schröder. Ihre Nachfolger werden es schwer haben.

Merkel hat in diesen Jahren die politische Landschaft geprägt, und dies auf ihre ruhige Art. Wäre Deutschland ein Acker, würde es eines Tages aufwachen und erst dann merken, dass es bestellt worden ist – im Guten wie im Schlechten.

Was lief schief?

Haken wir das Negative rasch ab: Als Klimakanzlerin wollte die ehemalige Bundesumweltministerin in die Geschichte eingehen und scheiterte. Heute lobt sie die Aktivisten von „Fridays for Future“ für jenes Rückgrat, dass sie nicht zeigte. Auch in Europa zeigte Merkel wenig Initiative, ließ gar den französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu Beginn seiner Amtsschaft hängen, als der mutige Visionen für die EU formulierte. Sie starrte jahrelang auf die schwarze Null und versäumte damit notwendige Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und in den Arbeitsmarkt. Die Situation der Pflegekräfte und der Gepflegten änderte sie nicht wirklich. Und Banken sowie Autokonzerne wurden von ihr umgarnt, anstatt in die Verantwortung für ihr Fehlverhalten genommen zu werden.

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Eine Visionärin ist Merkel nie gewesen. Ihren Wählern so wenig wie möglich zumuten – das war ihre Devise. Entscheidungen hinauszögern, bis es nicht mehr geht, sich wenig bewegen, andere machen lassen und dadurch eventuelle Fehler nicht an sich herankommen lassen: Charmant klingt das alles nicht. Aber dieses Verhalten zeitigt auch andere Seiten.

Ruhe ist schon mal gut

Merkel war nie Teflonpolitikerin, eine Fassade zimmerte sie nicht. Bei der Flutkatastrophe etwa zeigte sie das nötige Mit- und Feingefühl, welches Armin Laschet fehlte. Zu Beginn der Corona-Pandemie erläuterte sie die Notwendigkeiten der Reaktionen derart eindrücklich, dass ihre Erklärungen im Ausland trendeten. Überhaupt gibt es kaum eine Politikerin oder einen Politiker, die wissenschaftlichen Erkenntnissen solch einen breiten Raum für die Politik einräumen, wie Merkel es tut. Sie ist Wissenschaftlerin. Sie hat den Respekt vor dieser Arbeit gelernt und schätzt jene Wertigkeit richtig ein.

Merkel ist eine Politikerin, bei der man nachts ruhig schlafen konnte, auch als jemand, der sie nie wählte, weil man wusste, dass sie im Kanzleramt schon keinen großen Mist anstellen würde. Stellen wir uns nur vor, was Friedrich Merz alles einfallen könnte, oder Markus Söder…

…Merkel bediente die Sehnsucht nach Normalität. Nach der Erkenntnis, dass die kleinen Brötchen meist am besten schmecken.

Zudem pflasterten Krisen ihre Kanzlerschaft, bei denen sie zumindest nicht scheiterte. Bei der Finanzkrise stabilisierte sie die Wirtschaft, bei der Eurokrise sicherte sie die Konten der Bürger. Klar, über jede ihrer damaligen Entscheidungen lässt sich streiten – zum Beispiel über das Unglück, das ihre Austerität über Länder wie Griechenland, Spanien oder Italien brachte. Aber stets vermittelte sie den Eindruck, in einer Krise nicht die Nerven zu verlieren, sich ihr entgegenstellen zu können. Denn alle merkten: Ein Windbeutel ist sie nicht.

Manche entwickelten gar eine Hassliebe zu Merkel. Weil sie immer da zu sein schien, muteten einige ihr eine Macht zu, meist eine negative, die sie eh nie hatte. Zerstörerin des Abendlandes, so hieß eine Beschreibung. Nun, vielleicht hat Merkel die CDU zerstört, das Abendland aber steht fest wie eh und je. Und ob der Niedergang der CDU in den Jahren ihrer Parteiführung nur an ihr liegt, darf bezweifelt werden: Der Zeitgeist hat generell seine Vorliebe für Volksparteien verloren.

Ich glaube, nachdem Merkel aus dem Kanzleramt ausgezogen ist, wird sie erstmal gar nichts machen. Und dann mal sehen. Den lieben langen Tag wird sie schon nutzen.

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