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Kommentar: Wie das ZDF nach einer Kokosnuss fahndet

Ein Chor bei der Probe - wegen Corona draußen (Bild: REUTERS/Kai Pfaffenbach)
Ein Chor bei der Probe - wegen Corona draußen (Bild: REUTERS/Kai Pfaffenbach)

Auf Instagram macht der Sender im Kinderlied „Die Affen rasen durch den Wald“ Rassismus aus. Genau hinschauen lohnt immer. Nur bleibt hier die Frage, ob da nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Klar, es wird zu wenig gesungen. Wir schauen ja mehr auf Bildschirme, und Karaoke ist auch kein richtiger Ersatz. Ein Blick in das kleine Büchlein „Mundorgel“ wird auch immer weniger gewagt, und es stimmt: Das Land hat sich verändert. Da passt manches nicht. Denn man schaut besser hin.

Lieder wie „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ oder „Aramsamsam“ haben auch vor Jahrzehnten darauf gebaut, dass die Besungenen erniedrigt werden, dass man sich über sie lustig macht, sie klein macht – Rassismus eben.

Das war es schon damals. In Deutschland lernen wir hinzu, seit die Gesellschaft diverser wird und man besser hinhört. Mittlerweile gibt es ein Echo, wenn etwa Berliner mit einer vietnamesischen Familiengeschichte erzählen, dass sie den Song mit den „Chinisin“ eher traurig fanden.

Da macht es Sinn, die verletzenden Potenziale von Kinderliedern zu thematisieren, wie es nun das ZDF auf Instagram tat, und zwar in seiner Reihe „Around the world“. Bei einem Lied aber bin ich stutzig geworden.

„Beim Kinderlied ‚Wer hat die Kokosnuss geklaut‘ werden laut Kritiker*innen rassistische Stereotype gegen BIPoC reproduziert“, heißt es dort. „Das auf BIPoC projezierte, kolonialistische Klischee vom kriminellen und triebgesteuerten Affen steht dabei besonders im Fokus.“

Abgesehen davon, dass der Titel dieses Liedes „Die Affen rasen durch den Wald“ heißt, erinnerte ich mich daran, wie wir in meiner Kindheit es sangen – und ich fragte mich, ob ich da an Menschen gedacht hatte.

Nun soll man nicht von sich auf andere schließen. Aber komplett unwichtig ist es auch nicht, wie man solch ein Lied wahrnahm. Ich hatte damals nur Affen im Sinn, denn das Lied handelt von Affen. Eine ganze Bande von ihnen fahndet mit zunehmender Verzweiflung nach einer Kokosnuss, der Dschungel wird durchforstet, bis die Frucht endlich beim Affenbaby gefunden wird.

Was steckt drin?

In diesem Lied Rassismus zu sehen, macht eine Tat notwendig: Die Affen im Lied zu Menschen zu machen. Und klar, diese Animalisierung war ein gängiges Instrument, um Schwarze Menschen zu diskriminieren, und sie wird auch heute benutzt, man denke an die Bananenschalen und Affenlaute in Fußballstadien.

Dennoch kommt es mir vor, als würde man Rassismus erst erschaffen, wenn man dieses Lied als rassistisch kritisiert. Wie käme ich eigentlich darauf, in der Affenoma, in dem Affenonkel und in dem Affenbaby Menschen zu sehen? Auch das „Triebgesteuerte“, von dem das ZDF schreibt, leuchtet mir nicht ein; schließlich ist im Lied die Affenbande nur hinter einer Kokosnuss her, denkt also an Essensgenuss. In einer Zeile heißt es gar: „Die Affenbraut denkt selbst beim Kuss nur immer an die Kokosnuss.“ Triebgesteuert klingt mir das kaum.

Ein Musikethnologe findet das Lied „sehr auffällig“. „Da wird eine Art afroamerikanischer Rock‘n Roll imitiert auf ganz simple Weise in den Strophen.“ Er sieht darin eine gezogene Linie, „die nicht verbal artikuliert wird, die aber in diesem Lied drinsteckt.“

Nun, dass Kinderlieder andere Musikstile auf simple Weise imitieren, ist normal und nicht negativ. Und klar, Rock’n Roll hat im von afroamerikanischen Menschen entwickelten Rhythm & Blues seine stärkste Wurzel; allerdings hampelte bei der Entstehung des Kinderliedes schon die halbe Welt zum Rock’n Roll, der sich schnell globalisierte.

Fragen & Hinhören

Auskunft über Rassismuspotenzial können eigentlich nur jene geben, die dadurch verletzt werden. Ich habe im Netz danach gesucht und bin auf eine Quelle gestoßen, und zwar auf eine Bachelorarbeit aus dem Jahr 2012, welche ein Buch aus dem Jahr 2010 zitiert. Dort schildert eine Schwarze Deutsche, wie ihr Freund ihre Haare mit einem Affen verglich, indem er ihr das Lied vorsang. Das ist ein Hinweis darauf, wie das Lied auf andere Menschen wirken kann.

Was ist also damit zu tun? Ist das Lied nun zu vermeiden?

Mein Vorschlag: Fragen & Hinhören. Und in der Zwischenzeit: Ich weiß, dass das Lied vor 40 Jahren gesungen wurde und auch heute gesungen wird, ohne nur einen Funken von Rassismus zu transportieren – dass dies möglich ist; was nicht heißt, dass es als Instrument zum rassistischen Miesmachen nicht genutzt werden kann. Anstatt also das Lied mit einem kritischen roten Haken zu versehen, könnte es bewusst als ein Lied über Tiere gesungen werden, als ein Spaßlied. Als ein Lied, bei dem es selbstverständlich ist, nicht an Menschen zu denken. Darin würde eine positive Kraft liegen. Denn in ihm das Negative, das Rassistische zu lesen, bedeutet erstmal auch, diesen Rassismus ein Stück weit mitzumachen.