Merkel mahnt Richtung Trump: „Eine Pandemie lässt sich nicht mit Lügen bekämpfen“

Die Bundeskanzlerin präsentiert die Schwerpunkte ihrer Ratspräsidentschaft im Europaparlament. Das Programm ist gewaltig, die Erwartungen sind hoch.

Bundeskanzlerin Angela Merkel. (Bild: Dursun Aydemir/Anadolu Agency via Getty Images)
Bundeskanzlerin Angela Merkel. (Bild: Dursun Aydemir/Anadolu Agency via Getty Images)

Schwarze Mercedes-Limousine, weiße Gesichtsmaske, türkis-farbener Blazer: Punkt 13.15 Uhr fuhr Angela Merkel am Portal des Europaparlaments vor. Es ist die erste Auslandsreise der Bundeskanzlerin seit Ausbruch der Pandemie im März.

Dass Merkel Brüssel dafür auswählte, sagt alles über ihre politischen Prioritäten. Angela Merkel will im zweiten Halbjahr 2020 ihre ganze Kraft darauf konzentrieren, ihre zweite EU-Ratspräsidentschaft erfolgreich über die Bühne zu bringen.

Ihren ersten EU-Vorsitz hatte sie 2007 übernommen, das war noch ganz am Anfang ihrer Kanzlerschaft. Dreizehn Jahre und drei Bundestagswahlen später nähert sich Merkel dem Ende ihrer langen Amtszeit – und übernimmt wieder die Führung in Europa. So schließt sich der Kreis.

Schon damals, 2007, befand sich die Europäische Union, in einer Krise: Frankreich und die Niederlande hatten die jahrelang mühevoll ausgearbeitete europäische Verfassung in Volksabstimmungen abgelehnt. Die EU hatte erstmals ernsthaft mit den antieuropäischen Ressentiments zu kämpfen, die der Staatengemeinschaft immer noch schwer zu schaffen machen. Als EU-Ratsvorsitzende trug Merkel maßgeblich dazu bei, wesentliche Teile der Verfassung zu retten. Sie gingen in den Vertrag von Lissabon ein, bis heute Rechtsgrundlage der EU.

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Für die europapolitisch noch unerfahrene Kanzlerin galt die damalige EU-Ratspräsidentschaft als große Herausforderung, doch sie war gar nichts im Vergleich zu dem, was Merkel jetzt stemmen muss. „Die Aufgabe erfüllt mich mit Respekt“, gab sie am Mittwoch zu.

„Natürlich hatten wir uns vor Corona eine andere Präsidentschaft vorgestellt“, sagte die Regierungschefin des größten Mitgliedstaates. Nun aber werde die Bewältigung der Pandemie und ihrer gesundheitlichen und ökonomischen Folgen „die deutsche Präsidentschaft prägen“, sagte die Kanzlerin im Corona-bedingt spärlich besetzten Plenarsaal der europäischen Volksvertretung.

Grundrechte und Zusammenhalt

Dann wurde sie erst einmal grundsätzlich. Es folgte ein flammenden Plädoyer für Demokratie und Grundrechte, wie es in der EU-Volksvertretung sonst selten zu hören ist. „Eine Pandemie darf kein Vorwand sein, um demokratische Prinzipien auszuhebeln“, mahnte Merkel.

Adressaten der Botschaft finden sich außerhalb, aber auch innerhalb der Europäischen Union. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban durfte sich angesprochen fühlen. Merkel legte noch einmal nach: „Europa hat all diese Krisen überstanden, weil allen bewusst war, was unverzichtbar ist: Die Grundrechte und der Zusammenhalt.“

Gerade in diesen Corona-Zeiten zeige sich, dass sich eine Pandemie nicht „mit Lüge und Desinformation bekämpfen“ lasse. Merkel: „Dem Fakten leugnenden Populismus werden seine Grenzen aufgezeigt.“ Der Hinweis dürfte dem Umgang der Präsidenten der Vereinigten Staaten und Brasiliens mit den rasant steigenden Infektionszahlen in ihren Ländern gegolten haben.

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Kein Kanzler hat dem weltweit grassierenden Nationalpopulismus so explizit den Kampf angesagt und keiner hat den europäischen Zusammenhalt so intensiv beschworen, wie es Merkel an diesem Mittwoch im Europaparlament tat. Es ist wohl nötig, denn noch nie stand die EU sowohl in ihrem Inneren als auch von außen derart unter Druck.

Als erstes gelte es, nun so „rasch wie möglich“ das Corona-Wiederaufbaupaket zu beschließen, mahnte die Kanzlerin. „Ich hoffe sehr, dass wir im Sommer zu einer Einigung kommen“, sagte sie und warnte zugleich vor einem Scheitern.

Darauf würden die „Gegner Europas in vielen Staaten nur warten“. Wer eine „Rückkehr zum Nationalismus“ verhindern wolle, der müsse den von Corona stark betroffenen Regionen jetzt helfen. Dabei dürften die „wirtschaftlich starken Staaten“ aber nicht „einseitig über Gebühr belastet werden“, so Merkel.

Brexit als weiterer schwerer Brocken

Mit dem Hinweis signalisierte sie ein gewisses Verständnis für die Gruppe der sogenannten „Sparsamen Vier“ (Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark), die nicht rückzahlbare Zuschüsse aus dem Corona-Hilfspaket bislang strikt ablehnen. Deutschland selbst hatte sich gemeinsam mit Frankreich für Zuschüsse in Höhe von 500 Milliarden Euro ausgesprochen. Deutschland hält daran zwar fest, doch als EU-Ratspräsidentin wird Merkel den „Sparsamen Vier“ wohl entgegenkommen müssen.

EU-Diplomaten rechnen damit, dass das insgesamt 750 Milliarden Euro schwere Corona-Wiederaufbaupaket am Ende etwas weniger Zuschüsse und etwas mehr Kredite enthalten wird als ursprünglich von der EU-Kommission vorgeschlagen.

Merkel ging in ihrer Rede auf einige weitere Schwerpunkte ihrer Präsidentschaft ein. So müssen sich die 27 EU-Staaten bis Jahresende auf ein neues Klimaziel einigen. Bis 2030 sollten die CO2-Emissionen um „50 bis 55 Prozent“ im Vergleich zu 1990 gesenkt werden, gab Merkel vor. Außerdem solle die Klimaneutralität im Jahr 2050 rechtsverbindlich festgeschrieben werden.

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Der Brexit wird ein weiterer schwerer Brocken in der deutschen Präsidentschaft sein. Sie hoffe, dass bis Herbst ein Handelsabkommen mit Großbritannien zustande komme, aber man müsse sich auch auf die Möglichkeit eines ungeregelten britischen Austritts aus dem Binnenmarkt zum Jahresende einstellen, warnte Merkel.

Als weitere wichtige Präsidentschaftsthemen nannte Merkel die nach wie vor ungeregelte Asylpolitik in der EU, die „strategischen Beziehungen zu China“ und die bevorstehende Reformdebatte über den EU-Grundlagenvertrag. Die dazu einberufene Konferenz zur Zukunft Europas solle sich „auf wenige Themen konzentrieren“, mahnte die Kanzlerin.

Sie schloss nicht ohne Pathos mit einem Hinweis auf die Europahymne, deren Komponist Ludwig Van Beethoven in diesem Dezember 200 Jahre alt geworden wäre. Die Botschaft dieser Musik, Brüderlichkeit und Eintracht, müsse die EU auch in Zukunft leiten.

Im Video: Merkel macht den Yoga-Gruß