Merkel-Show im Bundestag: Die Chancen auf eine fünfte Amtszeit steigen

Noch vor einem halben Jahr wirkte die Kanzlerin amtsmüde, doch in der Coronakrise kehrt Merkel zu alter Stärke zurück. In der Union hält sie mancher auch künftig für alternativlos.

Erste Unionspolitiker bringen eine fünfte Amtszeit ins Spiel. Foto: dpa
Erste Unionspolitiker bringen eine fünfte Amtszeit ins Spiel. Foto: dpa

Eine fünfte Amtszeit von Angela Merkel rückt näher. Das zeigte auch wieder die Befragung der Kanzlerin durch die Parlamentarier im Bundestag. Die SPD hatte das Instrument im Koalitionsvertrag einst durchgesetzt, um Merkel grillen zu können. Die Stunde wurde jedoch wieder zur Merkel-Show.

Sie retournierte jede Frage souverän. Ob zum EZB-Urteil aus Karlsruhe, zu Infektionen in den Schlachthöfen, den Verzögerungen bei der Tracing App oder möglichen Steuererhöhungen. Merkel hatte ihren Kram wie immer beieinander.

Nicht nur diese Auftritte stärken sie in ihrem Unterstützerkreis. Längst haben sich die ersten Unions-Granden aus der Deckung gewagt und eine fünfte Amtszeit ins Spiel gebracht. Schon vor den Coronazeiten wollte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther im Wahlkampf 2021 wieder auf Merkel setzen.

Selbst Horst Seehofer, mit dem sie fast schicksalhaft im Guten wie im Bösen verbunden ist, machte kürzlich in einem großen Interview Andeutungen in diese Richtung. Typisch für den früheren CSU-Vorsitzenden sagte er, dass er darauf angesprochen worden sei.

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Nicht wenige in Berlin wissen, dass das politische Restlaufprogramm von Seehofer darin besteht, den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder als Kanzlerkandidaten zu verhindern. Aber in der Union werden schon alle Für und Wider für eine fünfte Amtszeit von Merkel heruntergespult. Ihr Amtsbonus hat die CDU in den Umfragen an die 40-Prozent-Marke herangeführt. Das gab es schon lange nicht mehr.

Ein neuer Kandidat müsste sich das alles wieder erarbeiten. Auch wird darauf hingewiesen, dass es dieses Jahr gar keine Entscheidung über eine Kanzlerkandidatur geben könnte. Jetzt würde erst einmal der Kampf gegen die Pandemie im Vordergrund stehen.

Doch dann spielt die Zeit erst recht für Merkel. Vor den Landtagswahlen im Frühjahr in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg wird die Union auch nicht die Pferde wechseln wollen. Die Kandidaten spüren diese Entwicklung. Friedrich Merz weist alle Fragen in diese Richtung schon fast brüsk zurück.

Markus Söders Mantra lautet: Mein Platz ist in Bayern. Selbst der ambitionierte nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet verbirgt seinen Ehrgeiz hinter Andeutungen, wenn er sagt: Bisher habe man die Coronakrise gut geschultert, „und ich glaube, auch andere Aufgaben kann man schultern“. In der Union will die Debatte ohnehin keiner führen. Der weiße Elefant steht im Raum.

14 May 2020, Berlin: Chancellor Angela Merkel stands in a queue at the Bundestag session for a roll-call vote. Topics of the 160th session include the adoption of a law on further corona measures in the health care system, the adoption of a law to increase short-time work compensation and ESM credit lines for corona assistance in the euro zone. Photo: Kay Nietfeld/dpa (Photo by Kay Nietfeld/picture alliance via Getty Images)
Fünfte Amtszeit für Merkel? Das wird immer wahrscheinlicher. (Bild: Getty Images)

Merkel zieht inzwischen gelassen ihre Kreise. Vor einem halben Jahr wirkte die Kanzlerin ausgelaugt und amtsmüde. Davon ist nichts mehr zu spüren. Im Bundestag rief sie am Mittwoch die Bürger auf, mutig und wachsam zu sein, um das Erreichte in der Pandemie nicht zu verspielen. Auch wenn die Ministerpräsidenten in der letzten Woche ihre Muskeln spielen ließen, die Beliebtheit Merkels ist in der Bevölkerung auf ungeahnte Höhen geschnellt.

Söder sucht die Nähe

Während ihr in der Flüchtlingskrise offensichtlich der Kontakt zu einem großen Teil der Bevölkerung und auch ihrer eigenen Partei abhanden kam, ist sie jetzt wieder eins mit den Christdemokraten und den Deutschen. Selbst Markus Söder sucht trotz aller Distanzregeln ihre Nähe. Ihr Fanklub ragt bis in die SPD hinein. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hielt kürzlich ein Schild in die Kamera, auf dem mit großen Buchstaben #Merkel stand.

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Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte schon vor der Coronakrise klar erkannt, dass das Rennen um die Kanzlerschaft offen wie nie sei, weil 2021 kein Amtsinhaber zur Wahl stünde. Diese Analyse könnte hinfällig sein, wenn Merkel noch einmal antritt.

Wer der Befragung im Bundestag zuhörte, konnte gefühlt die Anrede „Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin“ rund 50-mal hören. Das war schon einmal anders. Politikstrategen raten Herausforderern, die Amtschefs beim Namen zu nennen, um Augenhöhe herzustellen. Die freundlichen Abgeordneten aus allen Parteien hoben sie rhetorisch auf einen Sockel.

Schon bei ihrer Bewerbung für die vierte Amtszeit zögerte Merkel, wenigstes in der Öffentlichkeit. Sie habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, noch einmal anzutreten. Danach war Merkel lange Zeit auf ihrer Abschiedstournee. Die EU-Ratspräsidentschaft sollte einer ihrer letzten Höhepunkte werden. Einige ihrer engsten Berater versicherten, nach dem Abgang Merkels nicht in die Wirtschaft zu wechseln.

Sie selbst kündigte an, sie wolle alle Universitäten besuchen, von denen sie die Ehrendoktorwürde verliehen bekommen hatte. Das alles ist scheinbar hinfällig. Weggefährten trauen ihr zwar zu, dass sie am Ende einfach in einen Wagen steigt und wegfährt. Dass sie wie ein Cowboy in den Sonnenuntergang reitet. Doch für andere wäre es nicht überraschend, wenn sie wieder eine ihrer Lieblingsformulierungen benutzt: Sie hätte die Lage neu bewertet.