Mord an Frauke Liebs: "Ich bin fest davon überzeugt, dass die Aufklärung noch möglich ist"

Stern-Reporter Dominik Stawksi im Gespräch mit Fraukes Mutter Ingrid Liebs. (Bild: privat)
Stern-Reporter Dominik Stawksi im Gespräch mit Fraukes Mutter Ingrid Liebs. (Bild: privat)

Dominik Stawski beschäftigt sich als Reporter für den Stern schon viele Jahre mit dem ungeklärten Mord an Frauke Liebs. Er wurde für seine Reportagen mehrfach mit Journalisten-Preisen ausgezeichnet. Momentan arbeitet er an einem Serien-Podcast über den Mord. Im Interview mit Yahoo Nachrichten erzählt er von seinen Recherchen und den persönlichen Erfahrungen mit dem Fall.

Herr Stawski, wie ist der Stern überhaupt auf den Fall von Frauke Liebs gestoßen?

Dominik Stawski: Der Mord an Frauke Liebs ist ein Verbrechen, das so rätselhaft ist wie kaum ein anderes in Deutschland. Eine junge Frau wird mitten in einer belebten Stadt entführt, dann mindestes eine Woche lang an einem unbekannten Ort gefangen gehalten, in dieser Woche darf sie mit ihrem Mitbewohner und einmal auch mit ihrem Bruder telefonieren, sie klingt dabei seltsam, verrät aber nicht, was los ist, der letzte Anruf klingt wie ein richtiger Abschied, als wüsste sie, dass sie nicht mehr lange leben würde, und dann bringt der Täter sie tatsächlich um. Von Anfang an haben wir in der Redaktion nicht begreifen können, dass eine solche Tat unaufgeklärt bleibt.

Warum war es wichtig, die Geschichte 15 Jahre später noch einmal zu veröffentlichen?

Weil es eine komplizierte Tat ist, die für den Täter ja kaum zu verbergen ist. Er war für die Anrufe immer wieder mit Frauke in einem Fahrzeug unterwegs, hat immer wieder andere Ecken rund um Paderborn angesteuert. Ich glaube, mindestens im Umfeld des Täters muss aufgefallen sein, dass er sich in dieser Woche auffällig verhalten hat. Es spricht auch Einiges dafür, dass Frauke den Täter gekannt haben könnte, zumindest flüchtig.

Was sind die Indizien dafür?

Die Nachricht, die sie in der ersten Nacht ihres Verschwindens verschickte, schrieb sie wahrscheinlich schon im Beisein des Täters. Und diese Nachricht ist völlig unauffällig formuliert, es sind Formulierungen darin enthalten, die eigentlich nur von Frauke stammen können. Deswegen muss man davon ausgehen, dass Frauke in den ersten Stunden dieser Nacht noch mehr oder weniger freiwillig mit dieser Person unterwegs war. All das waren für uns Gründe, warum wir den Fall auch noch so viele Jahre später aufgegriffen haben. Wir wollen ihn in Erinnerung rufen, vor allem in der Region Ostwestfalen, damit mögliche Zeugen, Mitwisser oder sogar der Täter selbst sich endlich trauen, zu sprechen.

Warum bewegt ausgerechnet der Mord an Frauke Liebs so viele Menschen?

Weil sich viele Menschen mit Frauke und ihrem Umfeld identifizieren können. Sie war eine junge Frau, 21 Jahre alt, lebensfroh und offen. Und dann verschwindet sie, von jetzt auf gleich. In der ersten Phase agierte die Polizei offenbar noch eher zögerlich, weil die Beamten nicht ausschließen wollten, dass Frauke einfach freiwillig weg sei, jeder Erwachsene darf ja selbst bestimmen, wo er sich aufhält, außerdem hat sie sich von ihrem Handy aus gemeldet, da war der Polizei klar: Sie lebt. Was die Beamten sahen, war widersprüchlich, dieses Verbrechen passt einfach in kein Muster. Für die Familie war diese zögerliche Haltung kaum auszuhalten. Sie versuchten vergeblich, mehr Druck zu machen. Und dann, als man Fraukes Leichnam fand, zeigte sich ja auch, dass eben doch von Anfang an Fraukes Leben akut bedroht war. Das Tragische ist, dass das seitens der Polizei offenbar nicht klar genug erkannt wurde. Und im Nachhinein erschüttert das natürlich viele Menschen, wobei nicht klar ist, ob man Frauke überhaupt hätte retten können. Und neben all dem ist es auch ein grausames Verbrechen. Alle in Fraukes Familie und in ihrem Freundeskreis verdrängen den Gedanken, wie schlimm die letzten Tage für Frauke gewesen sein könnten.

Der Journalist berichtet schon seit mehreren Jahren über den Mordfall, der ihn auch persönlich beschäftigt. (Bild: privat)
Der Journalist berichtet schon seit mehreren Jahren über den Mordfall, der ihn auch persönlich beschäftigt. (Bild: privat)

Wie gehen Verwandte und Freunde mit dieser schlimmen Situation um?

Seit jetzt fast 16 Jahren leben sie damit, dass Fraukes Schicksal nicht aufgeklärt wurde. Klar, ihre Leben sind weitergegangen, Fraukes Freundinnen und Freunde haben jetzt selbst Kinder, Fraukes Mutter hat seit einigen Monaten nun auch ein Enkelkind. Sie haben sich also alle aus den ganz dunklen Zeiten wieder herausgekämpft. Aber die Ungewissheit, was Frauke angetan wurde und warum und wer dafür die Verantwortung trägt, die lastet schwer. Es ist immer schlimm, wenn ein junger Mensch stirbt, aber hier war es eben kein Zufall, keine höhere Gewalt, keine unvermeidliche Erkrankung oder sonst was, hier hat irgendjemand entschieden, dass Frauke nicht mehr leben soll. Und als ob das nicht schon furchtbar genug wäre, hat dieser Mensch das Ganze auch noch zu seinem Geheimnis gemacht. So raubt er der Familie und Fraukes Freundinnen und Freunden jede Möglichkeit, das auch nur im Ansatz verarbeiten zu können.

Wie wichtig ist es für die Familie, dass das Verbrechen doch noch aufgeklärt wird?

Ich kenne Fraukes Familie jetzt seit sieben Jahren und ich weiß, wie schwer sie darunter leiden, dass sie nur Fragen haben: Sie wissen nicht, was überhaupt geschehen ist und warum es geschehen ist. Diese Fragen quälen, und deswegen haben Fraukes Familie und ihre Freundinnen und Freunde entschieden, so intensiv mit unserer Redaktion zusammenzuarbeiten. Sie wollen alles probieren, um noch einmal Bewegung in die Ermittlungen zu bekommen. Wir werden noch dieses Jahr einen Serien-Podcast zum Fall veröffentlichen, in dem wir so ausführlich und genau wie nie zuvor die Auffälligkeiten dieses Falls beschreiben. Darin werden sich auch Leute äußern, die sich bislang nie öffentlich geäußert haben.

Was kann journalistische Berichterstattung in so einem Fall eigentlich ausrichten?

Unsere Berichterstattung der letzten Jahre hat immer mal wieder etwas Bewegung reingebracht, es gab Zeugen, die sich daraufhin meldeten, es gab offenbar auch Vernehmungen, aber dass wir als Journalisten jetzt dem Täter auf der Spur waren, das war nicht so. Es ist ja auch eigentlich nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es zu berichten, und zwar so sorgfältig und gut, wie es geht. Wir berichten unabhängig von der Polizei und auch von den Betroffenen, wir behandeln den Fall Frauke Liebs so wie auch andere Fälle, nur dass wir eben hier einen deutlichen größeren Aufwand betreiben.

Die Stern-Crime-Doku bei Facebook

Hat sich seit der Stern-Crime-Doku im vergangenen Jahr schon etwas getan?

Nach unserer Dokumentation haben die Behörden in Bielefeld und Paderborn mitgeteilt, dass eine mittlere, zweistellige Zahl an Hinweisen eingegangen seien, darunter auch seriöse. Mir wurde gesagt, dass die Polizei noch immer damit beschäftigt sei, diese Hinweise abzuarbeiten. Ich habe da aber keinen Einblick, das sind laufende Ermittlungen zu einem ungelösten Tötungsdelikt, da hat die Polizei wenig Interesse, einen Journalisten einzuweihen. Aber in jedem Fall haben wir gemerkt, dass unsere Berichterstattung nicht ohne Folgen bleibt. Auch aus diesem Grund haben wir uns entschieden, noch einmal viel Zeit und Recherche in einen Podcast zu stecken. Fraukes Mutter hat mal gesagt, dass dieses Projekt – also die Doku, der Podcast und die begleitende Berichterstattung – der letzte Versuch sei, das Schicksal ihrer Tochter aufzuklären.

Glauben Sie, dass der Täter noch gefunden werden kann?

Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass in diesem Fall die Aufklärung noch möglich ist. Ich glaube, es gibt dort draußen einen oder mehrere Menschen, die das in der Hand haben. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Mord so viele Jahre später durch eine entscheidende Zeugenaussage doch noch aufgeklärt wird. Mir hat der leitende Ermittler der Kripo in Bielefeld zum Beispiel gesagt, dass man damals probiert hat, alle Pub-Besucher ausfindig zu machen – unmittelbar vor ihrem Verschwinden war Frauke ja zum Fußballspielen in einem Irish Pub mitten in Paderborn. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Polizei das geschafft hat. Von daher ist es gut, wenn auch in diese Richtung noch einmal recherchiert wird, ob es nicht vielleicht doch jemanden gibt, dem irgendetwas aufgefallen ist.

Sie berichten nun schon lange über den Mord, wie sehr beschäftigt Sie dieser ungelöste Fall persönlich?

Als Journalist berichte ich nicht nur über Kriminalfälle, aber es kommt schon immer wieder mal vor. Unter allen Fällen, zu denen ich bislang recherchiert habe, gab es keinen, der mich so sehr beschäftigt hat wie dieser. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass Frauke und ich ungefähr gleich alt wären. Auch ihre Freundinnen und Freunde, ihre Geschwister sind überwiegend Menschen in meinem Alter, die ein Leben haben, das in vielem gar nicht so anders ist als meines. Doch was Frauke und ihnen passiert ist, finde ich immer noch unbegreiflich.

Sachdienliche Hinweise an das Polizeipräsidium Bielefeld: 0521/545-0 e-mail: Poststelle.Bielefeld@polizei.nrw.de oder an Fraukes Mutter Ingrid Liebs: www.frauke-liebs.de.

Für Hinweise, die zur Ergreifung und zur rechtskräftigen Verurteilung des Täters führen, ist eine Belohnung von insgesamt 30.000€ ausgesetzt. Sämtliche Hinweise können auf Wunsch vertraulich angenommen werden, Sie können anonym bleiben. Jede Beobachtung kann wichtig sein.