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Nach Taliban-Interview: Afghanische Journalistin verlässt das Land

Erst erregt ihr Interview mit einem Taliban-Vertreter weltweit Aufmerksamkeit und wird als Zeichen einer gemäßigteren Ausrichtung der radikalislamischen Gruppierung gedeutet, dann verlässt die afghanische Journalistin Behesta Arghand das Land. Aus Angst.

Behesta Arghand wurde durch ihr selbstbewusstes Interview mit einem Taliban-Vertreter bekannt (Bild: Screenshot/TOLO)
Behesta Arghand wurde durch ihr selbstbewusstes Interview mit einem Taliban-Vertreter bekannt (Bild: Screenshot/TOLO)

Wie soll die Welt erfahren, was in Afghanistan passiert, wenn alle Journalist*innen evakuiert werden oder flüchten müssen? Ohne unabhängige Berichterstattung – und davon gibt es von Tag zu Tag weniger – wird künftig nur noch vermittelt, was die radikalislamischen Taliban vermitteln wollen.

Wegweisende Interviews

Dabei ist es gerade zwei Wochen her, dass eine afghanische Journalistin Geschichte schrieb: Behesta Arghand, Nachrichtensprecherin beim größten afghanischen Privatfernsehsender Tolo TV, interviewte live als erste Frau einen Repräsentanten der Taliban. Das Gespräch sorgte weltweit für Aufmerksamkeit und wurde als Symbol für eine gemäßigtere Auslegung der Taliban gedeutet.

Arghand nutzte das Scheinwerferlicht und bot zwei Tage später, in einem weiteren Interview, der Friedensnobelpreisträgerin und Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai eine Bühne. Sie hatte im Jahr 2012 als 15-Jährige ein Attentat der Taliban überlebt. Grund für den Angriff war, dass sich Yousafzai für mehr Bildung für die weibliche Bevölkerung eingesetzt hatte. Das Interview war ihr erster Auftritt überhaupt im afghanischen Fernsehen.

Furcht vor den Taliban

Doch solche Symbole wird es erstmal nicht mehr geben. Der Grund: Arghand und viele ihrer Kolleg*innen sind geflüchtet. Wie unter anderem CNN berichtet, haben sich die Journalist*innen aus Sicherheitsgründen dazu entschieden. Vor allem die Entwicklungen in den letzten beiden Wochen habe sie dazu veranlasst. Via Whatsapp stand Arghand mit der Redaktion von CNN in Kontakt. Sie sagte: „Ich habe das Land verlassen, weil ich, wie Millionen anderer Menschen, die Taliban fürchte.“

Dazu wurde auch Saad Mohseni, er ist mit seinen drei Geschwistern Eigentümer von Tolo TV, befragt. Er nennt die Flucht Arghands bezeichnend für die derzeitige Situation: „Fast alle unserer Reporter*innen und Journalist*innen haben das Land verlassen.“ Sie sollen jetzt schnellstmöglich durch neue Kräfte ersetzt werden.

„Es ist deshalb eine doppelte Herausforderung für uns, alle Mitarbeiter*innen, die sich nicht sicher fühlen, aus Afghanistan rauszukriegen und gleichzeitig das Geschäft am Laufen zu halten“, sagte Mohseni.

Liberaleres Gesicht

Über die Entwicklungen in seinem Land hat der Senderchef auch einen Gastbeitrag in der Washington Post geschrieben. Von „Furcht und Panik, die die Straßen Kabuls seit der Machtübernahme der Taliban fluten“, berichtet er darin. Dennoch sei er zunächst von der radikalislamischen Gruppierung gebeten worden, weiterhin und unabhängig zu berichten. Nur: „Wir wissen nicht, wie lange das noch gilt und unter welchen Bedingungen.“

Ein Interview mit einer Journalistin galt als Signal der Liberalisierung der Taliban (Bild: Screenshot/TOLO)
Ein Interview mit einer Journalistin galt als Signal der Liberalisierung der Taliban (Bild: Screenshot/TOLO)

Der Text erschien kurz nach dem Taliban-Interview seiner Mitarbeiterin Arghand. Dieses sei, als die Taliban das letzte Mal Afghanistan regierten und es Frauen sogar verboten war, auf die Straßen zu treten, unmöglich gewesen: „Es war das erste Mal in der Geschichte unseres Landes, dass sich ein Repräsentant der Taliban live in einem Fernsehstudio von einer Journalistin interviewen ließ.“ Der Grund sei gewesen, dass die Gruppierung der Welt ein „liberaleres Gesicht“ zeigen wollte.

Doch er traut diesem Gesicht nicht und schreibt von Meldungen, die ihm im vergangenen Jahr immer wieder zugetragen wurden: „Es gab Hinweise, dass die Taliban Radiosender verboten haben und unbestätigte Berichte von Morden und Vergeltungsanschlägen, von Schließungen von Mädchenschulen und Drohungen gegen die Bevölkerung.“

Arghand will zurückkehren, wenn es sicher ist

Dazu passt, dass sich die Situation für die afghanische Presse in den beiden vergangenen Wochen massiv verschärft hat. CNN schreibt von täglichen und zunehmenden Drohungen und Einschüchterungen der Taliban in Richtung der Medien. Was letztlich der Grund war, wieso Arghand mit einigen Familienmitgliedern das Land verlassen hat.

Auch wenn sie weiterhin darauf hofft, zurückkehren zu können. Dazu sagte sie CNN: „Wenn die Taliban sich an ihre Versprechen halten und sich die Situation für alle bessert, ich sicher bin und es keine Gefahr für mich gibt, werde ich zurückreisen und arbeiten. Für mein Land und mein Volk.“

Video: Pandschir-Krieger proben Kampf gegen die Taliban