Nach Anschlag weiter hohes Risiko am Flughafen Kabul

Auch am Freitag warteten viele Menschen am Flughafen (Bild: REUTERS)
Auch am Freitag warteten viele Menschen am Flughafen (Bild: REUTERS)

Das Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amts schätzt die Sicherheitslage am Flughafen in der afghanischen Hauptstadt Kabul als «hochgefährlich» ein. Es bestehe weiterhin ein hohes Anschlagsrisiko rund um den Flughafen, hieß es am Freitag in einem Schreiben an deutsche Staatsbürger, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

«Wir raten Ihnen deshalb dringend, sich derzeit nicht zum Flughafen zu begeben.» Es sei noch nicht absehbar, wann der reguläre Flugbetrieb wieder aufgenommen werde. Während der Schauplatz des Anschlags menschenleer blieb, drängten sich an anderen Punkten um den Flughafen herum auch am Freitag wieder Hunderte Menschen, die auf eine Ausreise hofften.

Zurzeit gibt es keine zivilen und kommerzielle Flüge vom internationalen Flughafen Kabul. Die Bundeswehr hatte am Donnerstag ihre Luftbrücke aus der afghanischen Hauptstadt Kabul nach elf Tagen beendet. Der Evakuierungseinsatz der USA läuft noch einige Tage weiter. Die Bundesregierung setzt nun auf Diplomatie, um Ortskräften und deutschen Staatsbürgern weiter eine Ausreise zu ermöglichen.

Der Ort des Anschlags am Freitag (Bild: AFP / WAKIL KOHSAR)
Der Ort des Anschlags am Freitag (Bild: AFP / WAKIL KOHSAR)

Mindestens zwei Selbstmordattentäter des sogenannten "Islamischen Staates" hatten sich am Donnerstag US-Angaben zufolge in der Nähe des Flughafens in den Tod gesprengt. Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums wurden 60 bis 80 afghanische Zivilisten getötet, dazu laut Pentagon 13 US-Soldaten. Die Lage ist weiter unübersichtlich, lokalen Berichten zufolge könnte die Opferzahl noch viel höher sein. Zahlreiche weitere Menschen, darunter 18 US-Soldaten, wurden verletzt.

Die militant-islamistischen Taliban, die in dem Krisenstaat seit zwei Wochen die Macht haben, sprachen dagegen zunächst von nur 13 bis 20 getöteten Zivilisten. Die Nichtregierungsorganisation Emergency sagte der Deutschen Presse-Agentur, allein in ihrem Krankenhaus seien 16 Tote eingeliefert worden. Fernsehbilder vom Anschlagsort zeigten blutverschmierte Steine und am Boden verstreute Kleidungsstücke.

Die USA drohten mit Vergeltung. «Wir werden Euch jagen und Euch dafür bezahlen lassen», sagte US-Präsident Joe Biden am Donnerstag im Weißen Haus. Zugleich kündigte er die Fortsetzung der Evakuierungen von US-Bürgern und Ortskräften an - trotz der anhaltenden Terrorgefahr. Das Entsetzen in Kabul nach der Bluttat ist groß: Der Platz vor dem Tor, wo am Vortag noch Tausende, die auf einen Evakuierungsflug hofften, Schulter an Schulter standen, war am Freitag menschenleer, wie Fernsehbilder zeigten.

Zwei Jungen trauern am Donnerstagabend auf dem Parkplatz einer Klinik in Kabul (Bild: MARCUS YAM / LOS ANGELES TIMES)
Zwei Jungen trauern am Donnerstagabend auf dem Parkplatz einer Klinik in Kabul (Bild: MARCUS YAM / LOS ANGELES TIMES)

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier drückte Biden am Freitag in einem Kondolenzschreiben sein Beileid aus. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte: «Die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin sind voller Entsetzen und Abscheu über diese Terroranschläge.»

Der in Afghanistan aktive Ableger der Terrormiliz IS reklamierte den Anschlag für sich. Die Terroristen könnten die USA nicht dazu bringen, ihren Einsatz zu stoppen, betonte Biden mit Blick auf die verbliebenen Amerikaner im Land.

Biden erklärte mit Blick auf den IS, die USA hätten Informationen dazu, wo sich die Drahtzieher der Anschläge aufhalten - und würden auch ohne große Militäreinsätze Möglichkeiten finden, diese zur Rechenschaft zu ziehen, «wo auch immer sie sind». Seine eindringlichen Worte an die Terroristen: «Wir werden nicht vergeben. Wir werden nicht vergessen.»

Rauchwolke über dem Flughafen Kabul nach dem Anschlag (Bild: AP Photo/Wali Sabawoon)
Rauchwolke über dem Flughafen Kabul nach dem Anschlag (Bild: AP Photo/Wali Sabawoon)

Eine der Detonationen hatte sich nach US-Angaben an einem Tor zum Flughafengelände ereignet, an dem US-Soldaten im Einsatz waren. Eine Reihe von IS-Kämpfern habe dann das Feuer auf Zivilisten und Soldaten eröffnet, sagte US-General Kenneth McKenzie. Er warnte vor weiteren Anschlägen.

In sozialen Medien tauchten am Freitag mehrere Bilder von Kindern auf, die seit dem Anschlag vermisst werden. Hussain, der im westlichen Teil der Stadt lebt, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Alle Menschen hier in Kabul sind frustriert und enttäuscht.»

Die USA führen ihre Evakuierungsmission weiter - die Bundeswehr hatte ihre Luftbrücke aus Kabul dagegen am Donnerstag beendet. Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, dankte der Bundeswehr für ihren Einsatz. Sie hätten bis zur letzten Minute «alles gegeben», teilte Högl mit. Högl, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, waren am Vorabend nach Taschkent in Usbekistan geflogen, wo die Truppe ihr Drehkreuz hatte.

Ein Opfer des Anschlags wird in einer Klinik behandelt (Bild: AP Photo)
Ein Opfer des Anschlags wird in einer Klinik behandelt (Bild: AP Photo)

Nach Angaben der Ministerin wurden 5347 Menschen aus mindestens 45 Ländern evakuiert, darunter rund 500 Deutsche und mehr als 4000 Afghanen. Nun haben alle deutschen Soldaten, Diplomaten und Polizisten das Land verlassen. Von Usbekistan aus kehren die A400M der Bundeswehr nach Deutschland zurück. Die Soldatinnen und Soldaten werden am Freitagabend gegen 18.30 Uhr auf dem niedersächsischen Fliegerhorst Wunstorf erwartet.

Der Evakuierungseinsatz der gut 5000 US-Soldaten in Kabul soll wie geplant am Dienstag kommender Woche enden. Damit können auch die Verbündeten ihre Staatsbürger und frühere örtliche Mitarbeiter nicht mehr evakuieren. Am Flughafen Kabul hatten sich seit Beginn des Evakuierungseinsatzes dramatische Szenen abgespielt, da Tausende Menschen aus Angst vor Repressionen der Islamisten ausreisen wollten.

Video: IS-Ableger in Afghanistan ist mit Taliban verfeindet