Zum Tod von Diego Maradona: Das bewegte Leben der "Hand Gottes"

Diego Maradona polarisierte sein ganzes Leben lang. (Bild: imago images/Sven Simon)
Diego Maradona polarisierte sein ganzes Leben lang. (Bild: imago images/Sven Simon)

Große Trauer um Diego Maradona (1960-2020). Die argentinische Fußballlegende ist im Alter von 60 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Das bestätigte ein Sprecher. Anfang November hatte Maradona sich einer Gehirn-OP unterziehen müssen. Der Argentinier gilt als einer der besten Fußballspieler aller Zeiten. Seine späteren Jahre waren allerdings von seinen gesundheitlichen Problemen gezeichnet.

"Was ist bloß aus ihm geworden?" Sportautor Alex Steudel war entsetzt, als er das Fußballidol seiner Jugend in der Doku "Diego Maradona" des britischen Regisseurs und Oscar-Preisträger Asif Kapadia (48, "Amy,) sah. Steudel beschrieb in seiner Kolumne für "sport1" im Mai 2020 einen alten Maradona, der "fast nicht wiederzuerkennen" sei und "wegen einer Art Ganzkörperarthrose nicht mehr richtig gehen kann. Er humpelt herzzerreißend. (...) Tränen laufen sein aufgeschwemmtes Gesicht hinunter, und du hast selber einen Kloß im Hals und möchtest ihn nur in den Arm nehmen und sagen: Komm, wir machen das Ganze noch mal ganz von vorn, aber diesmal helfe ich dir, und alles wird gut".

Dann sagt dieser erbarmungswürdige Mensch über sich als Spieler: "Ich war krank, drogenabhängig. Ich frage mich immer: Hätte ich keine Drogen genommen, wie gut hätte ich dann gespielt?" Der Rückblick auf seine Triumphe dürfte Maradona oftmals gequält haben. Denn seine Vergangenheit war die Zeit der unendlichen Freuden.

Vom Wunderkind zum Weltstar

Er war einer der Größten der Fußballgeschichte, die Enthusiasten sahen in ihm das "achte Weltwunder". "Mit Maradona zu spielen, kann man nicht beschreiben. Man muss dabei sein. Er war ein Genie", schwärmte der Brasilianer Alemao (59). Die argentinische Trainerlegende César Luis Menotti (82) griff beim Thema Maradona tief in die poetische Zauberkiste: "Der Ball und er kamen zusammen auf die Welt." Selbst nüchterne Sportbeobachter sahen in Maradona ein Wunderkind. Vermutlich trifft es dieser Begriff am besten. Ein Wunderkind, meist strahlend, immer naiv, aber auch eigensinnig, trotzig und jähzornig, wenn es mal nicht so brillant lief.

Gedenken an Diego Maradona (Photo by Tomas Cuesta/Getty Images)
Gedenken an Diego Maradona (Photo by Tomas Cuesta/Getty Images)

Diego Armando Maradona wuchs als fünftes von acht Kindern eines Fabrikarbeiters in Villa Fiorito, einem Elendsviertel am Stadtrand von Buenos Aires auf. Mit neun kam er in die Kindermannschaft des Erstligisten Argentinos Juniors, mit 15 spielte er in der ersten Mannschaft, mit 20 galt er als der beste Spielmacher Südamerikas. 1981 wechselte er zum bekannteren Lokalrivalen Boca Juniors und wurde argentinischer Meister. Mit 21 war er ein Weltstar, mehr noch: Er bestieg den nach dem Karriereende des Brasilianers Pelé (80) verwaisten Thron des besten Fußballers der Welt.

Sein Weg nach Europa

Dann ging Maradona nach Europa zum FC Barcelona. Zwei Jahre kickte er in Spanien, eine Zeit von Licht und Schatten. Brillanten Auftritten auf dem Spielfeld folgten Skandale: Mal zettelte er auf dem Platz eine Massenschlägerei an, mal versackte er im Nachtleben. Heute weiß man: In Barcelona begann Maradonas Kokainkarriere. Dennoch folgte zwischen 1985 und 1990 sein fußballerischer Zenit. Maradona wurde mit seinem neuen Club, dem SSC Neapel, zweimal italienischer Meister und 1986 mit der argentinischen Nationalmannschaft (im Endspiel gegen Deutschland) Weltmeister, die WM in Mexiko war seine größte Bühne. Im Viertelfinale gegen England befördert er den Ball regelwidrig mit der Hand ins englische Tor. "Es war die Hand Gottes", sagt er danach.

WM 1982, Brazil v Argentina, Diego Maradona. (Photo by Mark Leech/Getty Images)
WM 1982, Brazil v Argentina, Diego Maradona. (Photo by Mark Leech/Getty Images)

In Neapel verehrten ihn die Fans damals mit religiöser Inbrunst. Viele Tifosi hatten ein Foto des Argentiniers zu Hause neben das Kruzifix gehängt, dem Bildnis einer Madonna hatte ein Unbekannter einen kleinen Maradona auf den Schoß gemalt. Neapel war aber auch die Metropole der Mafia-Organisation Camorra. Die vereinnahmte den Star, versorgte ihn mit Kokain und Prostituierten, ein Lebenswandel, der den Argentinier lange nicht loslässt. Nach den Wochenendspielen feierte er bis einschließlich Mittwoch Kokainexzesse, erst donnerstags stieg er wieder ins Mannschaftstraining ein. Dopingkontrollen manipulierte der Verein angeblich mit der Abgabe gefälschter Urinproben. Schließlich wurde Maradona wegen des Besitzes und der Weitergabe von Drogen zu 14 Monaten Knast verurteilt, auf Bewährung.

In Italien wird er zur Persona non grata

Die Vatikanzeitung "L'Osservatore Romano" bezeichnete ihn als "widerwärtige Person", die jene "beleidige, die wenig oder nichts haben". Sein Trainer vom SSC Neapel meinte dazu: "Ich stimme dem aus vollem Herzen zu." Selbst die Camorra, die angeblich beim Zwölf-Millionen-Rekordtransfer von Barcelona nach Neapel ihre Hände im Spiel hatte, wollte nichts mehr von ihm wissen. Maradona wurde in Italien zur Persona non grata. Der Rest seiner Karriere ist ein Absturz ins Bodenlose. Die folgenden Engagements beim FC Sevilla (1992-1993) und den argentinischen Clubs Newell's Old Boys (1993-1994) und Boca Juniors (1995-1997) waren überwiegend von Drogenvergehen, Dopingsperren und Bewährungsstrafen geprägt. An alte Erfolge konnte er nie wieder anknüpfen.

Seine anschließende Trainerkarriere war auch nicht von Erfolg gekrönt. Die argentinische Nationalmannschaft coachte er (2008-2010) bei der WM 2010 in Südafrika bis ins Viertelfinale. Dort traf sie auf Deutschland und verlor 0:4. Maradona verdingte sich danach in den Vereinigten Arabischen Emiraten, unterschrieb später beim weißrussischen Verein Dynamo Brest, ging dann aber nach Mexiko zum desolaten Zweitligisten Dorados de Sinaloa in Culiacán. Er führte das Team vom letzten Platz in die Playoffs, dann verschwand er, kam wieder und trat schließlich "aus gesundheitlichen Gründen" zurück. Zum Abschied rief er den Leuten zu: "Danke, dass ihr mich wieder zum Leben erweckt habt." Seine letzte Station war der argentinische Erstligist Gmynasia y Esgrima La Plata, sein Vertrag beim Abstiegskandidat lief noch bis 2021.

"Diego ist außer Kontrolle"

In seinem Privatleben gab sich Maradona der Selbstzerstörung hin. Drogen, Alkohol, Medikamente. Sein früherer Manager Guillermo Coppola (72) sagt, Diego sei "außer Kontrolle", er höre "auf niemanden" und sei eine "getriebene Persönlichkeit" ohne jedes Augenmaß. Immer wieder musste er in klinische Behandlung. Er erlitt einen schweren Herzinfarkt sowie einen Leberschaden. Immer wieder unterzog er sich Entziehungskuren - um danach zu bekennen: "Ich war, bin und werde immer drogenabhängig sein." Auch äußerlich ähnelte er immer weniger dem Fußballhelden. Maradona hatte bis zu 75 Kilo Übergewicht und ließ sich den Magen verkleinern, um 50 Kilo loszuwerden. "FAZ"-Autor Paul Ingendaay schrieb: "Diego Maradona (...) hatte das Pech, am Leben bleiben zu müssen, und läuft bis heute als Karikatur seiner selbst herum."

Diego Maradona bei der WM 2018 (Photo by JUAN MABROMATA/AFP via Getty Images)
Diego Maradona bei der WM 2018 (Photo by JUAN MABROMATA/AFP via Getty Images)

Zu diesem Bild des Jammers gehören auch seine Frauengeschichten. Er hat mindestens acht Kinder mit sechs verschiedenen Frauen (darunter eine Ehefrau). Erst 2019 erkannte er die Vaterschaft für drei Kinder in Kuba an. Dort hielt er sich zwischen 2000 und 2005 zum Drogenentzug auf. Jüngst verkündete er noch, er wolle seinen Kindern nichts vererben, sondern sein Vermögen spenden. Von seinen Millionengagen, die er als bestbezahlter Kicker seiner Zeit verdiente, sollen nicht einmal 150.000 Euro übriggeblieben sein.

Die Verehrung hielt bis zum Ende an

Bis zu seinem Tod wurde Maradona in seiner Heimat verehrt. In Rosario gründete man einst sogar die Kirchengemeinde Iglesia Maradoniana gegründet, die sich allerdings selbst nicht ernst nimmt. Vielmehr parodiert sie die Liebe zu ihrem Gott "D10S", ein Mix aus dem spanischen Wort Dios (Gott) und seiner Rückennummer 10.

Für den Trainer-Philosophen César Luis Menotti ist der wahre Maradona nicht der erbarmungswürdige: "Diego existiert in keiner anderen Welt als auf einem Fußballplatz. Das ist sein Leben, sein Traum." Das sahen auch seine Fans so: Zuletzt versammelten sie sich vor dem Krankenhaus nahe Buenos Aires, in dem der Fußballstar am Gehirn operiert wurde und jubelten bei der Nachricht über den Erfolg der OP. Nach acht Tagen konnte Maradona die Klinik verlassen und sollte sich im Privaten von der OP erholen. Argentinien hat nach seinem Tod eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen.