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Klimaschutzaktivistin Leonie Bremer im Yahoo-Interview: "Wir sind eine abgefuckte Generation"

Im Interview mit Yahoo spricht Leonie Bremer über ihr Engagement als Klimaschutzaktivistin bei Fridays For Future, den Krieg in der Ukraine und die deutsche Politik. Was meint die 24-Jährige, wenn sie von einer "abgefuckten Generation" spricht? Und was fordert sie von der Bundesregierung, wenn sie mit Blick auf den russischen Angriffskrieg sagt: "Deutschland finanziert diesen Krieg"?

Leonie Bremer. (Credit: Michael Zellmer)
Leonie Bremer. (Credit: Michael Zellmer)

Einige Gruppen von Fridays for Future (FFF) beteiligen sich an den Demos gegen den Angriffskrieg in der Ukraine. Warum? FFF ist doch eine Klimabewegung.

Leonie Bremer: Seit 2019 gibt es bereits die Gruppe „Fridays for Future - Aktivists in Risk Zones“, kurz FFF ARZ. FFF ARZ wurde gegründet, um zwanzig Klimaaktivist*innen zu unterstützen, die im Mai 2019 im Iran festgenommen wurden, weil sie gegen die staatliche Politik protestiert hatten. Wir unterstützen Aktivist*innen und ihre Familien auf der ganzen Welt, deren physische und psychische Sicherheit bedroht ist. Im August 2021 haben wir zusammen mit großen internationalen Organisationen gefährdete Klimagerechtigkeits-Aktivist*innen mit ihren Familien aus Afghanistan evakuiert. Wir betrachten den Schutz von Klimaaktivisten in Hochrisikogebieten wie Afghanistan und der Ukraine als ein Menschenrechtsthema. Somit organisieren wir auch Proteste gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Zusätzlich finanziert Deutschland diesen Krieg. Daher fordert FFF von der Bundesregierung, dass die Energieimporte aus Russland gestoppt werden. Es darf kein weiteres Öl, Gas und Kohle aus Russland gekauft werden. Die Antwort darauf darf aber nicht die Investition in andere fossile Infrastruktur, sondern muss die konsequente Energiewende weg von Kohle, Öl und Gas hin zu Erneuerbaren sein, um fossile Abhängigkeiten und Kriege zu beenden.

Haben Sie Kontakt zu FFF-Aktivist:innen in der Ukraine?

Ja. Jeder sollte gucken, wen man unterstützen kann. Der Krieg stellt alles auf den Kopf – und wir schauen eben nach den Aktivist:innen und deren Familien vor Ort. Sie haben uns übrigens aufgefordert, donnerstags zu streiken. Das können sie selbst nicht mehr, sie können ja nicht mal in die Schulen gehen.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie von all dem Tod hören?

Gerade sind meine Gedanken nicht sehr motivierend. Wir sind eine abgefuckte Generation. Seit zig Jahren haben wir eine Klimakrise, leben nun in einer Pandemie, die unsere Generation komplett psychisch krank macht. Und jetzt ist Krieg. Manchmal weiß man nicht mehr weiter. Es ist eine blöde Zeit.

Was könnte Hoffnung geben?

Meine Freund:innen in betroffenen Ländern geben mir Hoffnung. Zum Beispiel habe ich heute lange mit Mitzi gesprochen, das ist eine Freundin in den Philippinen. Sie leiden schon unter den Folgen der Klimakrise, und dort sind die Menschen trotzdem optimistisch. Das zeigt mir, dass wir hier in Deutschland nicht einfach in Tränen ausbrechen und nur sagen können, wie schrecklich alles sei. Wir müssen weiterkämpfen. Am 25. März ist globaler Klimastreik – solche Daten geben mir extrem viel Hoffnung.

Und die neue Bundesregierung, gibt die Ihnen Hoffnung?

Tja, die Ampel-Koalition ist sich nicht einig, was sie bis 2030 alles machen will. Es gibt keine konkreten Beschlüsse. Wie soll das Pariser Klimaabkommen dieses Jahr eingehalten werden, wie im nächsten Jahr? Dazu gibt es nichts. Diese drei Parteien zeigen sich gegenüber der Problematik der Klimakrise zwar offener als die CDU, aber den nötigen und radikalen Einschlag gibt es mit ihnen derzeit nicht. Dabei finde ich es nicht radikal, Klimaschutzbeschlüsse umzusetzen. Radikal ist es für mich, die Klimakrise zu ignorieren.

Dabei haben die Grünen doch nun die Schlüsselressorts für Wirtschaft, Umwelt und Landwirtschaft. Haben die es aus Ihrer Sicht nicht begriffen?

Das schon. Aber ich glaube, vieles scheitert an der Bürokratie. Und keine Partei hat ein Konzept dafür, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Hätten alle Parteien eines, könnte man über die Maßnahmen diskutieren. Alle sagen nur, sie wollen es einhalten – aber nicht wie und bis wann.

Fordern Sie solch ein Konzept?

Vor zwei Jahren haben wir gemeinsam mit dem Wuppertal-Institut eine Studie mit der Frage realisiert: Was braucht es? Es ist nicht so schwer, das Pariser Abkommen einzuhalten. Die Parteien bräuchten nur die bisherigen Erkenntnisse aufzunehmen und sich ans Umsetzen machen.

Die Klimaschutzaktivistinnen Leonie Bremer (links) und Luisa Neubauer. (Credit: Markus Hureck)
Die Klimaschutzaktivistinnen Leonie Bremer (links) und Luisa Neubauer. (Credit: Markus Hureck)

Vor zwei, drei Jahren hat FFF noch riesige Demos auf die Straßen gebracht. Hätten Sie damals gedacht, dass wir heute klimapolitisch so dastehen?

Ich male mir das auch heute nicht aus. Ich denke nicht: Wow, in drei Jahren haben wir dieses oder jenes geschafft. Ich will etwas für dieses Jahr sehen. Ich will, dass wir bis Ende dieses Jahres die erneuerbaren Energien derart ausgebaut haben, dass wir unabhängig sind. Schon 2018 dachte ich, als ich bei den Besetzungen im Hambacher Wald mitmachte, dass ich bald wieder zu meinem normalen Leben zurückkehren werde. Viereinhalb Jahre später mach ich immer noch Vollzeit- Aktivismus und komme nicht zur Masterarbeit. Es ist halt nicht so, dass ich denke: In so und so vielen Jahren haben wir es geschafft – denn dann müssten die eingeschlagenen Maßnahmen ja auch kontrolliert werden.

Hat der Aktivismus Ihr Leben durcheinandergewirbelt?

Ich habe Verantwortungen übernommen, die eigentlich nicht meine sind. Das ist weder zu feiern noch cool zu finden. Es sollte nicht meine Aufgabe sein. Oft wird ja gesagt: Oh, da können die Eltern aber stolz sein – das finde ich nicht. Es geht darum, dass die Verantwortlichen nicht ihre Aufgaben machen. Ich wünschte, ich müsste nicht all dies machen. Weiß nicht, ob dies mein Leben durcheinandergebracht hat. Verändert auf jeden Fall.

Sie sagten gerade, Sie gehören zu einer abgefuckten Generation. Ist es so, dass FFF heute weniger mobilisieren kann? Wurde ein Kipppunkt erreicht?

Ganz klar nein. Wir sind immer noch da, es gibt weiterhin 600 Ortsgruppen, die aktiv sind. Auf jedem Kontinent sind wir vertreten. Natürlich ist es jetzt viel wichtiger zu schauen, wie wir Leuten helfen können, die vorm Krieg fliehen müssen. Für mich ist es auch schwer, die ganze Zeit über die Klimakrise nachzudenken, drifte immer ab und hab im Kopf: Da werden Leute erschossen, weil dieser Ego-Typ Putin mehr haben möchte. Auch die Pandemie veränderte uns, schließlich ist es unsere Aufgabe, Massenproteste zu organisieren – was jetzt so nicht möglich ist.

Was plant FFF für dieses Jahr?

Wir haben Aktionstage und Großstreiks. Ende des Jahres wird es einen weiteren Großstreik geben. Die G7- und die G20-Treffen werden wir zum Anlass nehmen, um auf uns aufmerksam zu machen. Und wir werden die „Ampel“ kontrollieren und vorantreiben.

Überlegen Sie auch neue Aktionsformen? Man könnte sagen, dass nur Demonstrieren bei der Politik nicht auf Grün geschaltet hat.

Wir werden weiterhin unsere Massenproteste organisieren, wie es halt in der Pandemie möglich ist. FFF ist genau das: Streiken. Das wird auch weiterhin unsere Hauptprotestform sein.

Erwarten Sie, dass Teile der Bewegung aus Frust über zu wenig Veränderung zu anderen Mitteln greifen werden, etwa zu Gewalt?

Gewalt ist für FFF gar keine Option. Wir sind davon überzeugt, dass wir mehr Demokratie brauchen, dass wir die ganze Gesellschaft brauchen. Wenn man zu Gewalt greift, ist das nicht demokratisch. Für mich ist es auch nicht der richtige Weg, um jede Gesellschaftsgruppe einzubinden. Wir wollen nämlich diverser und inklusiver werden. Den Frust sehe ich, auch bei anderen Klimabewegungen. Hungerstreik zum Beispiel ist ein Ausdruck von Frustration, es ist selbstverletzend. Ich kann den Gedankengang verstehen, aber für mich wäre es keine Option. Und für FFF auch nicht.

Wie weit ist denn FFF bei dem Ziel von mehr Inklusion gekommen? Menschen mit Migrationsgeschichte oder mit Behinderung stürmten bei Ihnen ja nicht gerade die Hütte.

Es ist immer noch so, dass FFF Deutschland wenig inklusiv und kaum divers ist. Viele Gruppen versuchen, das aktiv zu ändern. Es gibt seit dieser Woche auf Instagram endlich FFF BIPOC. Global gesehen hat sich aber viel getan: Anfangs war FFF sehr europazentriert, und das ist längst nicht mehr so. In Deutschland ist es immer noch ein großes Problem.

Das Interview führte Jan Rübel