Darum fliegt Bach das Russland-Urteil um die Ohren

Thomas Bach (l.) und Wladimir Putin zelebrierten bei Olympia 2014 in Sotschi noch ihr gutes Verhältnis

Es ist eine gewaltige Wende im Skandal um das Staatsdoping in Russland. Und ein Beben, das die Olympischen Winterspiele einmal mehr auf den Kopf stellt.

Der Sportgerichtshof CAS hob am Donnerstag die vom IOC verhängten lebenslangen Olympia-Sperren gegen 28 russische Sportler auf, weil es keine individuellen Verstöße gegen Anti-Doping-Regeln feststellen konnte.

Noch brisanter: Auch die von den Sportlern bei den Winterspielen 2014 in Sotschi erzielten Erfolge sind wieder gültig - darunter die Goldmedaillen für Alexander Legkow (Langlauf) und Alexander Tretjakow (Skeleton).

Es ist eine Blamage für die Ringe-Organisation um den deutschen Chef Thomas Bach kurz vor dem Start der kommenden Winterspiele in Pyeongchang (9. bis 25. Februar)

Warum entschied das CAS so? Wie lauten die Konsequenzen und die Reaktionen und warum steht Bach nun in der Kritik? SPORT1 fasst Fragen und Antworten zusammen?

- Was ist passiert?

In den besagten 28 Fällen haben die Richter in Lausanne die IOC-Strafen für null und nichtig erklärt, die vom IOC vorgelegten Beweise seien "nicht ausreichend", um den Vorwurf eines Dopingverstoßes aufrechtzuerhalten.

Das Gericht betonte, dass es nicht über die Feststellung des IOC geurteilt hat, in Russland habe es ein staatlich gelenktes Dopingsystem gegeben. Es habe lediglich die individuelle Schuld der einzelnen Athleten untersucht.

In elf weiteren Fällen wurden Doping-Verstöße festgestellt und die Einsprüche nur teilweise bestätigt.

Diese Sportler bleiben aus den Ergebnislisten von Sotschi gestrichen, der CAS hob allerdings die lebenslangen Sperren auf. Die Athleten, zu denen auch Doppel-Olympiasieger Alexander Subkow (Bob) gehört, bleiben nur für die Spiele in Pyeongchang (9. bis 25. Februar) gesperrt.

Insgesamt waren 42 russische Athleten vor den CAS gezogen. Zunächst wurden aber nur 39 Fälle behandelt, die der Biathletinnen Jana Romanowa, Olga Wiluchina und Olga Saizewa wurden vertagt.

- Wie verändert das Urteil das Ergebnis von Olympia 2014?

Russland bleibt durch das Urteil die erfolgreichste Nation der Winterspiele in Sotschi. Der Gastgeber kommt demnach auf elf Gold-, elf Silber- und neun Bronzemedaillen und führt damit den Medaillenspiegel vor Norwegen (11/5/10) an.

Selbst wenn den Russen in noch drei zu verhandelnden Biathlon-Fällen zwei fragliche Silbermedaillen aberkannt werden, würde sich an der Reihenfolge nichts mehr ändern: Die des Staatsdopings überführte Nation bleibt erfolgreichstes Land der Spiele 2014.

Das IOC hatte zuvor insgesamt 43 russische Sportler lebenslang für Olympische Spiele gesperrt. Nur der Bobfahrer Maxim Belugin, der in Sotschi Vierter geworden war, legte keine Berufung ein.

- Wie lauten die Reaktionen auf das Urteil?

"Wir sind sehr glücklich für unsere Athleten", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow zu dem Urteil. Das IOC drückte hingegen sein "großes Bedauern" aus. Der Spiele-Veranstalter kündigte eine "sehr sorgfältige Analyse" des - noch nicht detailliert begründeten - Urteils an und stellte Konsequenzen in Aussicht, "inklusive eines Einspruchs beim Schweizer Bundesgericht".

Mit Enttäuschung reagierte DOSB-Präsident Alfons Hörmann auf das Urteil. "Die jetzige Entscheidung des CAS ist leider einmal mehr ein Schlag ins Gesicht des sauberen Sports. Das ist ein höchst unbefriedigendes Urteil, weil damit das nachweislich vorhandene und völlig inakzeptable staatliche Dopingsystem in Russland nicht in der gebotenen Härte bestraft werden kann", sagte der DOSB-Präsident.

Auch Jim Walden, Anwalt des russischen Whistleblowers Grigorij Rodtschenkow kritisierte das Urteil umgehend. Es ermutige Betrüger und lade "das korrupte russische Doping-System und Putin zu weiteren unrechtmäßigen Siegen ein".

Die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) bezeichnete das Urteil als "auf den ersten Blick erstaunlich und überraschend". NADA-Vorstand Lars Mortsiefer hält fest: "Saubere Sportlerinnen und Sportler aus Deutschland und anderen Nationen dürften durch das Urteil noch weiter verunsichert sein."

- Ist das IOC an dem Debakel schuld?

Absolut, findet der renommierte deutsche Sportrechtler Michael Lehner. Er spricht von einer "weiteren Peinlichkeit für das IOC, das den starken Mann markieren wollte". Das Vorpreschen des Dachverbandes habe nicht funktioniert.

"Die Frage war doch: Kann das IOC so vorpreschen, ohne dass ein Doping-Verfahren stattgefunden hat - der CAS hat die Antwort gegeben. Auch das IOC muss sich in die Regeln einordnen, die es selber mitgeschaffen hat", sagte Lehner.

Kern der Kritik, die Bach und seinem Ringe-Orden nun von vielen Seiten vorgehalten wird: Er hatte sich gegen einen Kollektivbann für Russland gesperrt, Strafen gab es nur auf Grundlage individueller Schuld - auf umstrittenem Wege, der vom CAS nun kassiert wurde.

Die zwiespältige Grundsatzentscheidung ist Bach - dem seine Nähe zu Russland und Präsident Wladimir Putin oft vorgeworfen wurde - nun also um die Ohren geflogen.

- Können die entlasteten Russen nun nach Pyeongchang?

Nicht unbedingt. Da ihnen weiterhin keine Einladung des IOC vorliegt und es dabei wohl auch bleiben wird, müssten sie zunächst ihr Startrecht einklagen.

Peskow kündigte an, dass man die Athleten auf dem Rechtsweg weiter unterstützen wolle, wurde aber nicht konkret, das IOC wiederum stellte klar: "Solange das Russische Olympische Komitee suspendiert ist, können russische Athleten nur auf Einladung des IOC in Pyeongchang starten."

Bislang sind 169 russische Athleten für Pyeongchang startberechtigt. Dort müssen sie als "Olympische Athleten aus Russland" unter olympischer Flagge und Hymne starten.