Olympia-Silber zu wenig: Chinesische Athleten für "Versagen" attackiert
Die meisten Athleten brechen vor Freude in Tränen über eine Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Tokio aus. Nicht so das chinesische Doppel im Tischtennis. Das musste sich sogar dafür entschuldigen, dass es "nur" für den zweiten Platz im Wettbewerb reichte.
Wer Silber gewinnt, hat sein Land nicht stolz gemacht, sondern es "im Stich gelassen". Das musste sich das chinesische Tischtennis-Doppel nach seiner Niederlage gegen Japan anhören. Denn das Duo war nicht nur dafür verantwortlich, dass die Goldserie Chinas nach unglaublichen 13 Jahren riss, sondern auch dafür, dass China gegen seinen Erzfeind Japan verlor. Im Finale der Olympia-Premiere des gemischten Doppels bezwangen die Japaner Jun Mizutani und Mima Ito die Weltmeister Xu Xin und Liu Shiwen mit 4:3. Grund genug für chinesische Nationalisten, sein Athleten-Duo im Netz fertigzumachen.
"Ich fühle mich, als hätte ich mein Team im Stich gelassen. Es tut mir leid", sagte Liu Shiwen nach der Niederlage und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Ihr Partner Xu Xin fügte hinzu: "Das ganze Land hat sich auf dieses Finale gefreut. Ich denke, das komplette chinesische Team kann dieses Ergebnis nicht akzeptieren." Obwohl sich das chinesische Doppel im Tischtennis trotz Silbermedaille reumütig zeigte und öffentlich dafür entschuldigte, schossen Nationalisten auf Weibo – dem chinesischen Pendant zu Twitter – verbal gegen Japan – und gegen ihre eigenen Athleten!
Sie hätten "die Nation enttäuscht", ihr "Versagen" sei "unpatriotisch". Ja, sogar von "Betrug" am eigenen Land wurde gesprochen. Laut "Daily Beast" war der Auslöser der Hasswelle gegen das chinesische Doppel das eher rechte japanische Magazin "Yukan Fuji", das nach der Niederlage mit der Überschrift "Chinas nationale Erniedrigung“ titelte. In Deutschland undenkbar. Hier hätte die Schlagzeile nach einer Silbermedaille vermutlich "Tischtennis-Doppel macht Deutschland stolz" gelauten.
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In China ist das allerdings kein Einzelfall. Ähnlich erging es Li Junhui und Liu Yuchen, dem chinesischen Doppel in Badminton, das kürzlich gegen Taiwan im Finale verlor. "Seid ihr überhaupt wach? Ihr habt euch gar nicht angestrengt. Was für ein Mist", lautete nur einer der vielen wütenden Kommentare im Netz nach der Niederlage.
Glücklicherweise gibt es aber auch in den chinesischen sozialen Medien Menschen, die Menschen sind, und die den Athleten ihre Unterstützung zusprechen. An Xu Xin und Liu Shiwen gerichtet hieß es dort beispielsweise: "Der Wettbewerb war brilliant. Beide Seite waren stark und sehr bescheiden und respektvoll miteinander. Könnt ihr nicht etwas Respekt für Tischtennis und Sport zeigen?" Und ein weiterer User meinte: "Warum fühlt es sich so an, als wären wir keine Chinesen mehr, wenn wir die Japaner nicht beschimpfen?"
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"Für solche Menschen sind olympische Medaillen Real-Time-Tracker von nationaler Tapferkeit und auch von nationaler Würde", erklärte Dr. Florian Schneider vom Leiden Asia Centre in den Niederlanden gegenüber "BBC". "In diesem Zusammenhang hat jemand, der bei einem Wettbewerb gegen Ausländer versagt hat, seine eigene Nation im Stich gelassen oder sogar betrogen." Für chinesische Nationalisten ginge es hier außerdem nicht nur um ein Sportereignis, wie Dr. Schneider erklärt: "Es ist ein politischer Krieg zwischen China und Japan."
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