Warum werden olympische Athletinnen immer noch wie Objekte fotografiert?

Rechts Bruno Oscar Schmidt aus Brasilien, links Mariafe Artacho del Solar aus Australien. Beide Fotos wurden bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio aufgenommen und von Getty Images verbreitet.
Rechts Bruno Oscar Schmidt aus Brasilien, links Mariafe Artacho del Solar aus Australien. Beide Fotos wurden bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio aufgenommen und von Getty Images verbreitet.

Wie verrückt ist die Vorstellung, dass wir Frauen tatsächlich Dinge leisten! Wir befinden uns zwar mitten im 21. Jahrhundert, aber diese Vorstellung scheint immer noch ziemlich abwegig zu sein. Was machen wir Frauen? Oder besser gesagt, was machen wir nicht?

Und wenn Frauen Dinge machen, landet es in den Nachrichten! Wie es sein sollte. Eine Frau stillt ihr Kind in der Öffentlichkeit. Ein Mädchen gewinnt eine Goldmedaille beim Skateboarden der Frauen. Frauen setzen sich gegen die Marathonbehörden zur Wehr und laufen neben Männern. Es ist einfach verrückt!

Die Geschichte der ersten weiblichen Marathonläuferin in Boston im Jahr 1967, Kathrine Switzer, ist ein bekanntes Beispiel dafür, dass Regeln, nur weil sie existieren und über Dutzende von Jahren von Männern durchgesetzt wurden (man bedenke, dass sie in der Vergangenheit lange die einzigen waren, die Führungspositionen innehatten), nicht unbedingt richtig sind und auch nicht befolgt werden sollten.

Das norwegische Beach-Handballteam der Damen protestierte gegen eine Maßnahme, die ihnen vorschreibt, dass sie eine Uniform im Stil eine Bikinis tragen müssen. Sie fühlten sich darin nicht wohl und sagten, dass sie darin zu sexuellen Objekten gemacht würden.

Als der Europäische Handballverband von diesem Protest erfuhr, stellte er nicht die Regeln in Frage, sondern tat das Gegenteil. Es wurde erneut getan, was seit Jahrhunderten mit Frauen geschieht, die sich zur Wehr setzen: Sie werden bestraft. Sogar der Internationale Handballverband selbst hat zugegeben, dass er nicht weiß, warum diese Regeln für die Trikots von Handballerinnen erlassen wurden.

Ich hätte eigentlich gedacht, dass wir alle auf die Worte der Norwegerinnen, der Bronzemedaillengewinnerinnen von Rio 2016, hören und sie feiern würden, indem wir ermöglichen, dass jede Frau wählen kann, was sie für ihren Wettkampf oder ihr Training trägt. Dass wir alle verstehen, dass sie nicht versuchen, dem Rest der Teams ihr eigenes Konzept von Komfort oder Ästhetik aufzuzwingen, und dass es nicht einmal darum geht, dass sie eine andere Art von Trikot erfinden, die sich von der unterscheidet, die ihre männlichen Kollegen tragen.

Aber dieser Gedanke wurde direkt im Keim erstickt, als Fotos und diverse Schlagzeilen von Medien und Nachrichtenagenturen in ihrer Berichterstattung über Tokio auftauchten.

Frauen werden immer noch als Objekte gesehen

Kürzlich brachte eine internationale Agentur mehrere Fotos weiblicher Beachvolleyballerinnen von den Olympischen Spielen 2020 in Tokio in Umlauf. Ohne die Bildunterschrift zu lesen, wäre es unmöglich gewesen, das zu erkennen, denn das Einzige, was auf den Fotos zu sehen war, waren: eine vergrößerte Ansicht des Hinterns einer Sportlerin, auf deren Bikini nur die Marke des Kleidungsstücks zu sehen war, und eine Hand, die mit einem Volleyball auf ihrer Hüfte ruhte. Selbst ein Archivfoto, wie es häufig in der Werbung genutzt wird, sagt mehr aus als das (oder zumindest zeigt es den ganzen Körper einer Frau)!

Links Josué Gaxiola vom mexikanischen Beachvolleyball-Team in Tokio 2020; rechts Rebecca Cavalcanti vom brasilianischen Team in derselben Sportart während der FVIB Beachvolleyball World Tour in Tokio 2019, einem Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio | Beide Fotos von Getty Images
Links Josué Gaxiola vom mexikanischen Beachvolleyball-Team in Tokio 2020; rechts Rebecca Cavalcanti vom brasilianischen Team in derselben Sportart während der FVIB Beachvolleyball World Tour in Tokio 2019, einem Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio | Beide Fotos von Getty Images

Auf einem anderen Bild sieht man die Schenkel der Sportlerin, während sie sich den Sand von den Händen wischt. Wir sehen ihren Bikini von vorn und einen Teil ihres Rumpfes. Das war’s. Wir wissen nicht, wer sie ist, wenn wir nicht die Bildunterschrift lesen. Die Gesichter der Sportlerinnen bekommen wir nicht zu sehen, nein, wir sehen sie noch nicht einmal in Aktion. Würden wir sie aus dem Kontext herausgelöst betrachten, würden wir annehmen, sie seien Models. Auf einem Foto sieht man unten im Bild etwas unscharf das Logo der Olympischen Spiele. Es gibt aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass es sich um Tokio 2021 handelt. Das Foto könnte vor 20 oder sogar 40 Jahren aufgenommen worden sein. Älter kann es allerdings nicht sein, denn vor 1960 durften die Trikots nur ein paar Zentimeter über das Knie reichen.

Viktoria Orsi Toth vom italienischen Beachvolleyball-Team wischt sich während eines Spiels gegen Australien bei den Spielen in Tokio den Sand von den Händen. | Foto: AFP
Viktoria Orsi Toth vom italienischen Beachvolleyball-Team wischt sich während eines Spiels gegen Australien bei den Spielen in Tokio den Sand von den Händen. | Foto: AFP

Diese Frauen treiben höchstwahrscheinlich seit ihrer Kindheit Sport, möglicherweise bis zu sieben Stunden am Tag. Sie haben es wegen ihrer Leistung und harten Arbeit in dieser Sportart so weit gebracht. Dennoch werden sie als zusammenhanglose "Körperteile" dargestellt, die in die Kategorie "Augenschmaus" eingeordnet werden können. Und das bezeichnet als man Objektivierung von Frauen. Es handelt sich um Sexismus in den Medien, was nicht nur die Sportlerinnen beeinflusst, sondern auch diejenigen Menschen, die sich diese Bilder ansehen. Die Botschaft, die von ihnen ausgeht, sagt uns nämlich laut dem UN-Leitfaden zur Genderperspektive im Sportjournalismus für klischeefreie Sportnachrichten (2021), dass Sportlerinnen Objekte sind, an denen man sich erfreuen kann, und nicht Akteure, die handeln.

Diskriminierung und Sport

Die Informationen, die wir finden, sind immer dieselben: Es sind Körper, die den verbreiteten und akzeptierten Schönheitsnormen entsprechen.

Und die Körper, die nicht in diese „akzeptable“ Kategorie fallen, werden bei Wettkämpfen hart kritisiert, weil sie nicht unserer sich immer wiederholenden Vorstellung von einem athletischen oder schlanken Körper entsprechen. Als ob diese Eigenschaften automatisch gleichbedeutend mit olympischer Stärke und Gesundheit wären.

Ein noch krasserer Vergleich: Als über die norwegischen Sportlerinnen ihre Strafe verhängt wurde, wurde die paralympische Athletin Olivia Breen, die an Zerebralparese leidet, von einem Vertreter von England Athletics sexistisch beleidigt. Dieser sagte Breen bei einer Veranstaltung, sie solle sich längere Shorts anziehen, da ihre Kleidung „zu kurz und unangemessen" sei. Und hier kommen wir in den Diskurs über den Ableismus, also die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen.

Sportlerin Olivia Breen trat bei den Paralympics für Großbritannien an (Foto: Getty Images/Naomi Baker)
Sportlerin Olivia Breen trat bei den Paralympics für Großbritannien an (Foto: Getty Images/Naomi Baker)

Keine Frau sollte jemals objektiviert oder so behandelt werden, als sei sie kein Mensch mit mehreren Facetten, mit verschiedenen Zielen, die mehr sind als nur das Ziel sind, hübsch anzusehen zu sein.

"Wir fangen an in dem Moment, in dem das Bild gemacht wird und mit der Person, die es macht. Fotografen haben eine Verantwortung und spielen eine wichtige Rolle dabei, nicht dazu beizutragen, dass Frauen nur als 'Fleischstücke' angesehen werden, die gegeneinander antreten, sondern als Hochleistungssportlerinnen, die an einem internationalen Wettkampf teilnehmen", sagt die Mexikanerin Greta Rico, Dokumentarfotografin und Professorin für Feministische Studien an der Autonomen Universität von Mexiko – Xochimilco.

Aber das Versäumnis, Körper nicht auf dieselbe Art zu fotografieren, sind perfekter Beweis dafür, dass diese Perspektiven kein Zufall sind. Sie sind voreingenommen durch Praktiken und Lehren in der Sportjournalismus-Fotografie, die sexistisch, rassistisch, leistungsfeindlich, nicht zeitgemäß oder intern in Frage gestellt, bis zum Überdruss wiederholt und völlig veraltet sind und nur wenig zur Information beitragen.

Rückkehr zu den Stereotypen

Jahrhundertelang galten Frauen bloß als ein weiterer attraktiver Teil der Umgebung. Man hatte die Vorstellung, dass sie nichts taten, sondern nur statisch posierten und dabei hübsch aussahen.

"Diese Vorstellungen aus der männlichen Perspektive haben einen Mythos über Frauen entstehen lassen, der nicht nur zur Entstehung von Stereotypen beträgt. Häufig schadet diese Art von Repräsentation auch Frauen, denn es sind Botschaften, die uns permanent sagen, dass wir nichts wert sind. Und das in dem Maße, dass ein kollektives Bild von Frauen entsteht; ebenso tragen Gesellschaft und Kultur dazu bei, das Bild von guten und schlechten Frauen zu erzeugen", erklärt Greta weiter.

Joana Heidrich von der Schweizer Beachvolleyballmannschaft während der Spiele in Tokio | Fotos: Getty
Joana Heidrich von der Schweizer Beachvolleyballmannschaft während der Spiele in Tokio | Fotos: Getty

Auf internationaler Ebene gibt es die Beijinger Erklärung und Aktionsplattform, die 1995 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde und in der unter anderem gefordert wird, dass die Medien die ständige Projektion negativer Bilder von Frauen oder von Frauen in traditionellen, einschränkenden Rollen unterdrücken und im Gegenzug mehr Geschichten über den Beitrag von Frauen und ihre unterschiedlichen Lebensstile bringen sollen.

(Rechts) Im Vordergrund: Adrian Heidrich aus der Schweiz bei einem Spiel gegen Italien. | (Links) Bruno Oscar Schmidt aus Brasilien in einem Spiel gegen Polen. | Beide wurden in Tokio aufgenommen | Fotos: Getty Images
(Rechts) Im Vordergrund: Adrian Heidrich aus der Schweiz bei einem Spiel gegen Italien. | (Links) Bruno Oscar Schmidt aus Brasilien in einem Spiel gegen Polen. | Beide wurden in Tokio aufgenommen | Fotos: Getty Images

Und obwohl wir sehen und wissen, dass Sportlerinnen wirklich Großes leisten, konzentriert sich die Welt weiterhin auf ihre unbewegten Beine im Bikini oder ihre Hintern mit Ball. Und jetzt, wo Frauen dagegen protestieren, sehen wir sie nur an. Warum hören wir ihnen nicht zu? Wie die Riot-Grrrl-Band X-Ray Spex einst sagte: "Manche Menschen sind der Meinung, dass man kleine Mädchen nicht sehen und hören sollte."

"Repräsentation schafft Kultur. Als wir als kleine Mädchen sahen, wie Frauen in Romanen, Filmen oder in der Kunst dargestellt wurden, übernahmen wir die Vorstellung, dass wir kulturell gesehen so oder so sein sollten", analysiert Greta Rico. Mit ihrer Perspektive und ihrer dokumentarischen Arbeit aus der Geschlechterperspektive versucht sie, sich gegen den Diskurs auszusprechen, der Frauen nur als "Körperteile" ansieht.

Eine Turnerin des deutschen Teams, die bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021 einen Ganzkörper-Trikotanzug für das Kunstturnen wählte. (Foto: Lindsey Wasson/Reuters) Mehr
Eine Turnerin des deutschen Teams, die bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021 einen Ganzkörper-Trikotanzug für das Kunstturnen wählte. (Foto: Lindsey Wasson/Reuters) Mehr

Und bei der Frage, was zuerst da war, fallen einem folgende Fragen ein: Wer hat zuerst sexualisiert? Die Kleidung? Die Körper? Fotografen? Die Medien? Zuschauer? Die Gesellschaft? Alle? Es gibt zwar keine direkten Antworten, aber es gibt direkte Forderungen.

Die richtige Antwort ist nicht relevant, wenn es die weiblichen Sportlerinnen sind, die ihrem Gefühl Ausdruck verleihen, dass sie sich nicht wohl in ihren Anzügen fühlen, die sie tragen müssen, während die ganze Welt auf sie blickt. Es macht wenig aus, wenn wir weiterhin über ihre körperlichen Attribute sprechen oder sie fotografieren, anstatt uns auf ihre sportlichen Fähigkeiten oder den Kontext zu konzentrieren.

Estefanía Camacho Jiménez

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