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Wie Joseph Schooling sein Idol schlug und zum ersten Goldmedaillengewinner seines Landes wurde

Dieser Artikel ist Teil der exklusiven Yahoo-Serie "Wie man einen Olympioniken großzieht". Dafür haben wir mit olympischen Athleten und ihren Eltern gesprochen, um einzigartige Einblicke in die Anfänge der Karrieren von Spitzensportlern zu gewinnen. Sehen Sie hier das Interview im Video - bitte drücken Sie den "CC"-Button für deutsche Untertitel:

Als Colin und May Schooling beschlossen, den Traum ihres Sohnes Joseph vom Olympiasieg zu unterstützen, hatten sie keinen Bezugspunkt, schließlich hatte noch nie ein Sportler aus Singapur die Goldmedaille gewonnen. So haben sie ihrem Sohn zu seinem außergewöhnlichen Triumph verholfen.

Colin Schooling nimmt eine Sporttasche heraus, durchwühlt den Inhalt und hält dann mit einem strahlenden Lächeln eine alte, unscheinbare Schwimmbrille hoch.

"Schaut euch das an", sagt er fast ein wenig stolz, während er auf das knallgelbe Gummiband zeigt. "Ich habe dieses Band für Jo gemacht, als er gerade fünf oder sechs Jahre alt war. Es brauchte keine Anpassung, ich nahm Maß, damit die Schwimmbrille perfekt um seinen Kopf herum passt."

Warum? "So konnte er sich auf das Schwimmen konzentrieren und musste seine Zeit nicht mit der Brille verschwenden. Alles, was ich tun konnte, um ihm dabei zu helfen, besser zu schwimmen, habe ich getan."

Er holt weitere Schutzbrillen und Paddel aus der Tasche, die alle mit den gleichen gelbfarbenen Bändern versehen sind. Während des einstündigen Chats mit Yahoo zeigt der 73-Jährige einen dicken Ordner, der die Ergebnisse und Rundenzeiten aller Wettbewerbe, an denen der junge Joseph Schooling teilgenommen hat, enthält - einige davon waren sauber handschriftlich niedergeschrieben und andere gewissenhaft von den Organisatoren der Turniere eingeholt.

Goldmedaillengewinner Joseph Schooling mit seinen Eltern nach der Rückkehr nach Singapur (Bild: ROSLAN RAHMAN / AFP)
Goldmedaillengewinner Joseph Schooling mit seinen Eltern nach der Rückkehr nach Singapur (Bild: ROSLAN RAHMAN / AFP)

Alles wurde getan, was es seinem einzigen Sohn ermöglichte, seinen Traum vom olympischen Gold zu verfolgen und am Ende auch zu erreichen.

Opfer waren von Anfang an eine Selbstverständlichkeit

Die Geschichte von Joseph Schooling ist eine, die sogar Menschen in Singapur kennen, die keine Sportfans sind. Der Junge mit dem brennenden Ehrgeiz, beim Schwimmsport zu gewinnen, der sein Heimweh überwand, um in den Vereinigten Staaten trainieren zu können, der mit seinem kraftvollen Schmetterlingsstil viele Wettbewerbe - von den Südostasienspielen bis zu den Asien- und Commonwealth-Spielen - gewann und der am Ende Singapurs erste und einzige olympische Goldmedaille in Rio de Janeiro 2016 holte.

Die Geschichte von Josephs Eltern, Colin und May, wird seltener erzählt. Manch einer hat vielleicht eine flüchtige Vorstellung davon, wie die Schoolings Josephs Ehrgeiz unterstützten.

Ein Blick auf ihr reizvolles Arbeitszimmer in Parkway Parade - vollgepackt mit Fotos, Medaillen und Auszeichnungen, die Joseph seit seiner Kindheit in seiner Schwimmkarriere gesammelt hat, verdeutlicht, wie viel Mühe Colin und May mehr als ein Jahrzehnt lang aufwenden mussten, um den Traum ihres Sohnes am Leben zu erhalten.

Colin und May Schooling im Interview (Bild: Yahoo Singapur)
Colin und May Schooling im Interview (Bild: Yahoo Singapur)

Von Colins maßgefertigten Brillen und dem Zusammenstellen der Ergebnisse bis hin zu Mays regelmäßigen Reisen in die USA, um Joseph Gesellschaft zu leisten - die Eltern lächeln und tun ihre Opfer als etwas ab, das für sie selbstverständlich war.

"Als er gerade sechs Jahre alt war, weckte mich Jo morgens um 4.30 Uhr und wollte, dass ich ihn zu seinen Schwimmstunden bringe", erinnert sich Colin. "Eines Tages sagte ich zu ihm während einer der Stunden: 'Du kümmerst dich um die Erwartungen, die an dich gestellt werden und ich kümmere mich um die Ziele.'"

"Es war eine Achterbahnfahrt. Wir brachten Opfer, aber es war eine schöne Reise", sagt die 66-jährige May, bevor Colin einwirft: "Aber wir wollen das nicht noch einmal durchmachen."

Der erste Schritt war nervenaufreibend

In der Tat war der erste Schritt zur Unterstützung von Josephs Träumen nervenaufreibend. Schließlich hatte noch nie ein Singapurer bei den Olympischen Spielen Gold gewonnen, seit der winzige Stadtstaat als eigenständige britische Kronkolonie bei den Spielen 1948 in London erstmals Sportler entsandte.

Am nächsten kamen die Singapurer dem Gewinn von Gold 1960, als Tan Howe Liang Silber im Gewichtheben in der Klasse Leichtgewicht der Männer gewann, und 2008, als das Tischtennis-Team der Frauen nach einer Finalniederlage gegen China ebenfalls Silber holte.

Obwohl sowohl Colin als auch May einen starken sportlichen Hintergrund haben - Colin war ein vielseitiger Sportler, der Singapur im Softball vertrat, und May spielte früher Tennis für den malaysischen Bundesstaat Perak - gab es keinen Bezugspunkt, kein aktuelles Beispiel für singapurische Eltern, die einen olympischen Goldmedaillengewinner unterstützen wollten.

Joseph Schooling nach dem Sieg bei den Southeast Asian Games 2011 (Bild: Matt King/Getty Images)
Joseph Schooling nach dem Sieg bei den Southeast Asian Games 2011 (Bild: Matt King/Getty Images)

Wie weit sollten sie gehen? Wie viel sollten sie ausgeben? Diese Fragen schwirrten Colin und May durch den Kopf, als sie Rat beim Schwimmverband suchten.

"Ich habe meine eigenen Nachforschungen über Eltern von Goldmedaillengewinnern aus anderen Top-Schwimmnationen angestellt, und wann immer ausländische Top-Trainer nach Singapur kamen, fand ich die Zeit, sie zu treffen und sie auszufragen", sagt Colin.

"Sie gaben uns Tipps und Empfehlungen dazu, welche Schulen und welche Trainer wir aussuchen sollten. Alle Optionen beinhalteten, ins Ausland zu gehen, um dort zu leben und zu trainieren, also war uns früh klar, dass wir dieses Opfer bringen mussten."

"Und Joseph war entschlossen. Von jungem Alter an war er so. Also hatten wir auch keine Zweifel."

Den Sohn in die USA führen

Sie waren von der Überzeugung ihres Sohnes ermutigt, seit Joseph in jungen Jahren von den Leistungen seines Großonkels Lloyd Valberg - des allerersten Olympioniken von Singapur im Jahr 1948, der im Hochsprung 14. wurde - begeistert war, wann immer sich Colins gesamte Familie traf.

May erinnert sich daran, dass ihr Sohn eine natürliche Affinität zu Wasser hatte und jede Gelegenheit nutzte, im Pool zu schwimmen. Joseph hatte auch einen großen Siegeshunger und forderte öfter Kinder aus älteren Altersklassen heraus.

Joseph Schooling im Finale in Rio (Bild: REUTERS/Marcos Brindicci)
Joseph Schooling im Finale in Rio (Bild: REUTERS/Marcos Brindicci)

"Jo hasste es zu verlieren, aber wenn er es tat, ließen wir ihn in Ruhe. Wir haben ihn nie ausgeschimpft, wir waren ja selber Sportler, wir wussten also, wie schmerzhaft es ist, zu verlieren", sagt sie.

"Wir sagten uns, dass wir uns dann um ihn kümmern würden, falls er einen Wutanfall bekommen sollte, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass dies jemals der Fall war. Er ging einfach stumm weg, analysierte, woran es lag und arbeitete daran, sich zu verbessern."

Mit jedem Wettbewerb, den Joseph gewann, waren Colin und May mehr davon überzeugt, dass ihr Sohn sein Ziel mit dem richtigen Training und der nötigen Fürsorge erreichen könnte.

Gemeinsam schaute sich die Familie nach Schulen mit erstklassigem Schwimmtraining für den Nachwuchs um und entschied sich für die Bolles School in Jacksonville, Florida, deren Schwimmteam vom Olympiasieger Sergio Lopez geleitet wurde.

Der junge Joseph Schooling mit seinem Idol Michael Phelps (Bild: Privat)
Der junge Joseph Schooling mit seinem Idol Michael Phelps (Bild: Privat)

Der Wechsel von der Nestwärme zuhause zu einer ungewohnten Umgebung war für Joseph als Teenager sehr schwer, auch wenn er wusste, dass er auf dem richtigen Weg war, um seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Ebenso hart war es für seine Eltern: Sie mussten nicht nur einen Großteil ihrer Ersparnisse aufbrauchen, sogar einige ihrer Anlagen verkaufen, sondern auch ihren Lebensstil auf Eis legen, um sich aus der Ferne um das Wohl ihres Sohnes zu kümmern.

Manchmal besuchten Sie Ihn in Jacksonville und manchmal führten sie Ferngespräche. May erinnert sich an ein Telefonat, in dem Joseph darüber sprach, dass er Heimweh hatte und zwischen nach Hause zurückzukehren und weiterzumachen, hin- und hergerissen war.

"Jo und ich diskutierten immer sehr ruhig die Pros und Kontras", sagt sie. "Und am Ende unserer Diskussion sagte ich immer: 'Die endgültige Entscheidung liegt bei dir'. Ich bestand nie darauf, dass er dieses oder jenes tun müsste, denn ich wollte, dass er lernt sein Leben in die Hand zu nehmen, noch bevor er erwachsen war."

Michael Phelps gratuliert Joseph Schooling zum Sieg (Bild: REUTERS/Dominic Ebenbichler)
Michael Phelps gratuliert Joseph Schooling zum Sieg (Bild: REUTERS/Dominic Ebenbichler)

"Ja, mein Mann und ich stecken viel von unserer Zeit und Mühe hinein, aber wir drängen uns nicht auf. Er muss für seine eigenen Lebensentscheidungen verantwortlich sein. Ich denke, es ist entscheidend, dass Jo weiß, dass es in seinen Händen liegt, ob er gewinnt oder verliert. Er muss selber die Verantwortung übernehmen."

Mit dieser Verantwortung ging Joseph gut um und er fing an, Medaillen zu gewinnen, auf regionaler wie auch auf internationaler Ebene. Die Universitäten in den USA wurden aufmerksam und umwarben ihn. Er entschied sich 2014 für den berühmten Trainer Eddie Reese, an der Universität von Texas in Austin.

Diese Entscheidung erwies sich als genial, denn Joseph machte unter Reese große Fortschritte, bis hin zu jenem glorreichen Tag in Rio, an dem er sein Idol Michael Phelps überflügelte und das kostbare olympische Gold in seiner Lieblingsdisziplin 100 m Schmetterling gewann.

Der Ehrgeiz ist geweckt. Während er sich darauf vorbereitet, sein Gold bei den Olympischen Spielen in Tokio zu verteidigen und schließlich die nächsten Stationen seines Lebens zu erreichen, ist sich Joseph über eines im Klaren: Ohne seine Eltern hätte er diese olympische Medaille nicht und würde heute etwas ganz anderes tun.

Joseph Schooling bei der Verleihung der Goldmedaille (Bild: REUTERS/Dominic Ebenbichler)
Joseph Schooling bei der Verleihung der Goldmedaille (Bild: REUTERS/Dominic Ebenbichler)

"Auf dem Podium zu stehen, bedeutet für mich die Welt, etwas so Großes mit ihnen zu teilen, und ich weiß, dass es auch für sie die Welt bedeutet, was die ganze Situation so schön macht", sagt der 25-Jährige in einem E-Mail-Interview mit Yahoo von seinem derzeitigen Trainingsstützpunkt in Virginia aus.

"Etwas Bedeutendes und scheinbar Schweres zu tun, wurde durch ihre Unterstützung stark vereinfacht."

"Mein Vater nahm mich etwas härter ran. Er wusste, dass ich es draufhatte und immer, wenn ich schimpfte oder jammerte, dann schob er mich noch ein bisschen mehr an. Meine Mutter war da fürsorglicher, gab mir Umarmungen und sagte, dass alles in Ordnung wäre, solange es mir Spaß macht, wisst ihr?"

"Sie ergänzten sich auf ihre Art und ermutigten mich so und sorgten dafür, dass ich auf dem richtigen Weg blieb."

Süßer Nachgeschmack der Achterbahnfahrt

Colin und May Schooling können nun den süßen Nachgeschmack ihrer Achterbahnfahrt mit Joseph zu seinem außergewöhnlichen olympischen Triumph genießen. Welchen Rat können sie anderen Eltern geben, deren Kinder ebenfalls vom olympischen Ruhm träumen?

Colin glaubt daran, die Ambitionen der Kinder von ganzem Herzen mitzutragen. "Wenn Sie Ihre Kinder bedingungslos lieben, dann sorgen Sie dafür, dass sie Leidenschaft für das verspüren, was sie tun und dann müssen Sie sich hinter diese Leidenschaft stellen", sagt er.

Singapur feierte seinen ersten Goldmedaillengewinner mit einer Siegesparade (Bild: REUTERS/Edgar Su)
Singapur feierte seinen ersten Goldmedaillengewinner mit einer Siegesparade (Bild: REUTERS/Edgar Su)

May sagt hingegen, "Es müssen die Kinder sein, die olympischen Erfolg wollen, nicht die Eltern. Sonst treiben die Eltern die Kinder an einen Punkt, an dem sie einfach aufgeben. Du unterstützt dein Kind, du lebst nicht deinen eigenen Traum durch dein Kind. Ihr müsst aufrichtig zu euch selbst sein."

Chia Han Keong