Interview mit Frauke Liebs' Mutter: "Ich wäre zu jeder Zusammenarbeit bereit"

Frauke Liebs (links) mit ihrer Schwester Karen und Hund Kira bei einer Familienreise nach Mallorca im Jahr 2005. (Bild: privat)
Frauke Liebs (links) mit ihrer Schwester Karen und Hund Kira bei einer Familienreise nach Mallorca im Jahr 2005. (Bild: privat)

Die Hoffnung gibt sie nicht auf. Für Frauke Liebs' Mutter ist der Fall bisher nicht unaufklärbar. Im Gespräch mit Yahoo Nachrichten spricht Ingrid Liebs über neue Fragestellungen, mögliche Zeugen und ihren Briefverkehr mit dem Staatsanwalt.

Frau Liebs, 16 Jahre nach dem Mord an Ihrer Tochter wollen Sie immer noch herausfinden, was geschehen ist. Warum?

Ingrid Liebs: Ich möchte wissen, was passiert ist. Warum das passiert ist. Und wer daran beteiligt war.

Trauern Sie noch um sie?

Die Trauer hört nie ganz auf. Das ist bei Angehörigen wohl so, und wenn man einen geliebten Menschen auf solch gewaltvolle Art verloren hat, dann noch einmal besonders. Die Trauer verändert sich mit den Jahren.

Denken Sie jeden Tag an sie?

Ich denke sehr viel an Frauke. In meinem Flur hängt eine Bildergalerie, von der Frauke natürlich auch ein Teil ist. Ich sehe sie jeden Tag, wenn ich daran vorbeigehe. Manchmal rede ich mit ihr. Sie gehört noch dazu.

Interview mit Ingrid Liebs bei "Stern Crime"

Hat man Ihnen in all diesen Jahren gesagt: Lass gut sein, beschäftige dich nicht mehr damit…

Explizit nicht. Aber manchmal denke ich, dass dies etwas wäre, welches die Justiz sehr begrüßen würde.

Warum?

Weil sie dann die Arbeit einstellen könnte. Ich habe nicht den Eindruck, dass gerade intensiv daran gearbeitet wird. Ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt daran gearbeitet wird. Wenn ich offiziell sagen würde: „Ich lass es gut sein“ – dann würden die offiziell ihre Arbeit für beendet erklären.

Was ist denn der Stand der Ermittlungen?

Ich weiß, dass es offiziell einen Zuständigen gibt. Offiziell ist auch ein Staatsanwalt zuständig, aber den Stand der Ermittlungen kommuniziert man mit mir nicht. Wenn ich nachfrage, kriege ich sehr kryptische Antworten – beziehungsweise der Staatsanwalt redet gar nicht mit mir, er beantwortet nicht einmal Briefe; dabei habe ich ihn ganz freundlich angeschrieben. Meine Bitte um ein Gespräch ist bis heute unbeantwortet. Auch werden mir Akten, die ich unbedingt einsehen möchte, nicht gegeben, und zwar mit der Begründung: Daran wird gearbeitet. Teilweise sind das Hinweise, die nun ein dreiviertel Jahr alt sind. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass man an sowas neun Monate lang sitzt. Ich gehe also davon aus, dass ich bestimmte Akten nicht sehen soll.

Schon direkt nach dem Verschwinden berichteten zahlreiche Medien über den Fall.
Schon direkt nach dem Verschwinden berichteten zahlreiche Medien über den Fall. Ingrid Liebs sammelte alle Artikel akribisch. (Grafik: Martin Lukas / Yahoo)

Welche Akten könnten das sein?

Mir wurde zum Beispiel explizit gesagt, dass ich zur TKÜ-Akte keinen Zugang haben darf, da handelt es sich um die technischen Daten. Zur Qualität dieser Akte gibt es indes sehr unterschiedliche Äußerungen. Auch an anderen Stellen gibt es widersprüchliche Aussagen. Ich habe den Eindruck, dass gewisse Asservate nicht mehr existieren – jedenfalls ist das an einer Stelle signalisiert worden; der Staatsanwalt behauptet in Interview aber anderes.

Wie finden Sie es, dass der Staatsanwalt Ihnen nicht antwortet?

Ich finde es schlicht unhöflich. Eine deutsche Behörde kann höflich geschriebene Briefe wenigstens beantworten. Das hat nichts mit dem Fall zu tun, sondern das macht man eigentlich so.

Da tut sich in der Wahrnehmung ein Zwiespalt auf. Einerseits vermuten Sie, dass die Polizei diesen Fall abschließen möchte, und andererseits kommuniziert die Polizei Ihnen, dass sie an Akten noch arbeite. Irgendwie passt das nicht zusammen.

Nun, es handelt sich um Akten, die ich sehr interessant finde. Aus einem bestimmten Grund will man nicht, dass ich sie sehe. Aber warum, kann ich erst beurteilen, wenn ich sie gesehen habe. Clever wäre es, all dies mir zu zeigen und damit zu dokumentieren, dass man alles getan habe. Dann gäbe es auch keine Verdächtigungen von meiner Seite. Offenheit ist immer das beste Prinzip, um miteinander umzugehen. Da ich zur Verschwiegenheit verpflichtet bin, würde ich auch niemals irgendwelche Erkenntnisse nach draußen geben.

Diese Hinweise könnten zur Aufklärung des Falles beitragen.
Diese Hinweise könnten zur Aufklärung des Falles beitragen. (Grafik: Martin Lukas / Yahoo)

Also, ist Ihr Eindruck, dass die Polizei gerade nicht macht, was sie machen sollte?

Da man nicht mit mir redet, kann ich das nicht beurteilen. Ich hatte nach einem zweiten Operativen Fallgutachten darum gebeten, mit der Gutachterkommission zu sprechen – das ist mittlerweile über ein Jahr her. Man hatte mir gesagt, ich könne das machen, weil ich Fragen zu ansatzweisen Widersprüchen hatte. Bis heute habe ich keinen Termin gekriegt.

Obwohl Ihnen das in Aussicht gestellt wurde?

Ja. Mehrfach.

Wo könnten Sie denn helfen?

Mit Ausnahme des ehemaligen Vizeleiters der Sonderkommission gibt es niemanden, der so gut über den Fall Bescheid weiß wie ich. Ich wäre ein Gesprächspartner, habe Akten sehr akribisch gelesen und dazu Fragen sowie Anmerkungen. Ich wäre zu jeder Zusammenarbeit bereit. Aber offensichtlich ist die Mutter eines Opfers kein Partner, mit dem die Justiz zusammenarbeiten will.

Wo könnte man bei der Suche nach dem Mörder ansetzen?

Zum Beispiel bei den eingegangenen Hinweisen. Man könnte auch Einiges in Frage stellen, etwa, ob damalige Einschätzungen richtig lagen. Ich glaube, dass man etwas übersehen hat.

Was denn?

Zum Beispiel beim Ablageort oder die Ablagesituation – also was wie gefunden wurde. Mir hat der damalige Leiter der SoKo gesagt: Ja, der Ablageort sei wichtig, aber es sei eine schnelle Ablage gewesen. Und das Kreuz, das sie bei sich hatte, habe keine Bedeutung. Ich finde: Man sollte sich bei der Aufklärung nicht nur harte Fakten anschauen, sondern auch weiche Faktoren – wie etwa das soziologische Umfeld eines Ablageortes.

Warum könnte zum Beispiel solch ein Kreuz ein weicher Faktor sein?

Warum nimmt ein Täter von ihr alles mit, lässt ihr aber dieses Kreuz? Was ist das dann also für eine Gegend, in der sie abgelegt wurde, welche Leute leben dort? Welche Wertvorstellungen lassen sich dort finden? All dies sind Fragen, die ich bisher, auch im Gutachten, vermisse.

Sie sind nicht zufrieden.

Kann ich nicht sein, bis es aufgeklärt ist oder für mich schlüssig nicht aufklärbar ist. Für mich gibt es keinen Grund, die Sache zu den Akten zu legen.

Von wem erhoffen Sie sich jetzt Aufschluss oder Hilfe? Von eventuellen Mitwissern?

Von zwei Seiten: Erstens ist die Justiz zuständig, ohne sie geht es nicht – und sie soll ihre Arbeit machen. Und zweitens glaube ich immer noch nicht, dass es einen Einzeltäter gab, dem es gelang, Frauke eine Woche lang unter Kontrolle zu halten und bei sich zu behalten – alles zu regeln und zu managen, ohne dass dies irgendjemandem aufgefallen ist. Meine Hoffnung ist also: Es gibt jemanden, der etwas gesehen hat oder in irgendeiner Form eingebunden war und dieses Wissen endlich preisgibt; und nicht aus Rücksicht auf Verwandtschaft, Nachbarn, Freunde oder Kollegen weiter schweigt. Manches, was man gesehen hat, kann man ja erst im Nachhinein zu Fakten zusammensetzen. Damals mag es völlig unauffällig gewesen sein.

Gibt es jemanden, den Sie an dieser Stelle direkt ansprechen möchten?

Ich möchte jeden ansprechen, der glaubt, wirklich etwas Relevantes gesehen zu haben. Und der dieses Sehen mit einem Namen oder einem Ort verbinden kann. Und ich möchte mich an jeden wenden, der vielleicht in irgendeiner Form, sei es auch im Nachhinein, eingebunden wurde – und zwar mit der Bitte: Es ist falsch verstandene Loyalität zu schweigen! Sagen Sie, was Sie wissen. Helfen Sie den Angehörigen, indem Sie aufklären, was in der Zeit vom 20.06 bis 27.06.2006 geschah.

Sachdienliche Hinweise an das Polizeipräsidium Bielefeld: 0521/545-0 e-mail: Poststelle.Bielefeld@polizei.nrw.de oder an Fraukes Mutter Ingrid Liebs: www.frauke-liebs.de.

Für Hinweise, die zur Ergreifung und zur rechtskräftigen Verurteilung des Täters führen, ist eine Belohnung von insgesamt 30.000€ ausgesetzt. Sämtliche Hinweise können auf Wunsch vertraulich angenommen werden, Sie können anonym bleiben. Jede Beobachtung kann wichtig sein.