Déjà-vu gegen Real: Das fehlt den Bayern zum großen Wurf

Wieder Spanien, wieder Drama, wieder Frust: Die heiße Phase der Champions League wird für den FC Bayern München allmählich zum Trauma. Neben fehlendem Glück sind zwei Dinge entscheidend, warum es nicht für den großen Wurf reicht. Ein Kommentar von Yahoo Sport-Redakteur Tommy Gaber.

Robert Lewandowski steht sinnbildlich für das Bayern-Aus gegen Real Madrid
Robert Lewandowski steht sinnbildlich für das Bayern-Aus gegen Real Madrid

Am Dienstagabend war Sven Ulreich an der Reihe. Corentin Tolisso hatten unter Druck einen wirren Rückpass zum Torhüter gespielt, der damit völlig überfordert war. Ulreich traf im Bruchteil einer Sekunde eine fatale Entscheidung: Statt den Ball irgendwie noch vor dem heranstürmenden Karim Benzema wegzukicken, ging er mit den Händen Richtung Ball zu Boden, um dann im Bewusstsein der Rückpassregel die Arme wieder wegzuziehen. Der Ball kullerte unter seinem Körper durch, Benzema musste die Kugel nur noch über die Linie drücken.

Es waren und sind diese teils krassen individuellen Fehler, die sich seit Jahren wie ein roter Faden durch die K.o.-Phase des FC Bayern in der Champions League ziehen. 2014 ließen die Bayern im Halbfinal-Rückspiel gegen Real Madrid Sergio Ramos nach ruhenden Bällen zweimal völlig ungehindert zum Kopfball hochgehen – zweimal war der Ball im Tor und das Aus der Münchner damit vorzeitig besiegelt.

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2016: “Better foul Saul”…

2015 schenkten die Bayern dem FC Porto im Viertelfinale durch alberne Ballverluste im Aufbauspiel zwei Tore. Damals konnte das im Rückspiel durch einen 6:1-Sieg noch korrigiert werden. Doch schon im nächsten Spiel ging es von vorne los: In Barcelona ermöglichten Manuel Neuer einen schwachen Abwurf und Juan Bernat durch eine schwache Ballannahme dem FC Barcelona den späten Führungstreffer im Halbfinal-Hinspiel.

2016 ließen sich Bernat, David Alaba und Thiago von Atletico-Spieler Saul Niguez auf engstem Raum 20 Meter vor dem eigenen Tor austanzen – das 1:0 der Rojiblancos im Halbfinal-Hinspiel brachte die Bayern erneut auf die Verliererstraße. Die Süddeutsche Zeitung titelte daraufhin süffisant: “Better foul Saul”.

Zudem verschossen die Bayern 2016 gegen Atletico und 2017 gegen Real jeweils in den Heimspielen bei 1:0-Führung kurz vor der Pause einen Elfmeter und schwächten sich durch Rote Karten selbst.

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Es war nie so “einfach” gegen Real

In diesem Jahr sind die eigenen Fehler besonders schmerzhaft: Rafinha im Hinspiel, Ulreich in Co-Produktion mit Tolisso im Rückspiel. Real Madrid war absolut schlagbar, eigentlich war es in den letzten Jahren nie einfacher, die Königlichen aus “ihrem” Wettbewerb zu werfen. Doch die Bayern sind zum fünften Mal in Serie an einer spanischen Mannschaft gescheitert, weil sie ihre Gegentore so einfach herschenken.

Im Triple-Jahr 2013 kassierten die Münchner in den Viertel- und Halbfinalspielen gegen Juventus Turin und Barca nicht ein einziges Gegentor. Seitdem haben sie in 14 K.o.-Auswärtsspielen immer mindestens ein Gegentor bekommen. “Wenn man auf diesem Niveau solche Fehler macht, braucht man sich nicht zu wundern, wenn man ausscheidet”, sagte Trainer Jupp Heynckes.

Offensive: Enormer Aufwand, wenig Ertrag

Die Fehlerkette ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die Bayern müssen in den großen Spielen seit Jahren einen enormen Aufwand betreiben, um selbst Tore zu erzielen. 2016 lautete die Torschuss-Statistik gegen Atletico im Rückspiel 27:5. 2018 in Madrid 21:9. Das Offensivtrio Ribery/Müller/Lewandowski blieb trotz teils bester Gelegenheiten in beiden Spielen gegen Real torlos.

Insbesondere Lewandowski blieb abermals den Beweis schuldig, dass er zu den besten Stürmern der Welt gehört. Die schießen nämlich in den entscheidenden Spielen entscheidende Tore. So wie Benzema, dem ein Doppelpack gelang und für auch 2014 gegen die Bayern das Siegtor zum 1:0 erzielte. Lewandowski will unbedingt zu Real. Doch wer einen Benzema in seinen Reihen hat, der ein ähnlicher Spielertyp und gerade mal ein halbes Jahr älter ist, hat überhaupt keine Veranlassung, 100 Millionen Euro plus x für Lewandowski auszugeben.

Die hohe Anzahl individueller Fehler und der fehlende Killerinstinkt im Abschluss werfen automatisch die Qualitätsfrage auf. Seit dem Final-Triumph 2013 sind die Bayern nicht mehr in der Lage, in den alles entscheidenden Momenten in der Champions League da zu sein und die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Das Problem liegt in der Offensive

Thomas Müller hat unmittelbar nach dem Spiel in Madrid angekündigt, intern intensiv auf die Suche nach Antworten zu gehen, warum das seit Jahren so ist. Die einfachste Antwort wäre: Die Bayern benötigen neue Spieler.

Mit Hummels, Boateng und Süle haben sie die mit Abstand drei besten deutschen Innenverteidiger schon in ihren Reihen; Boateng und Hummels gehören zudem seit geraumer Zeit auch international zu den Besten. Süle hat in beiden Spielen gegen Real angedeutet, dass er eine große Karriere vor sich hat. Wer Cristiano Ronaldo 180 Minuten so aus dem Spiel nehmen kann, hat per se kein Defensivproblem.

Die Krux liegt eher in der Offensive. Wer Real so unter Druck setzen kann und so viele gefährliche Situationen im Strafraum der Königlichen produzieren kann, der muss einfach in der Lage sein, häufiger zu treffen. Mit mehr Ruhe und mehr Überzeugung. Ein Schuss, ein Tor. Nicht zehn Schüsse, kein Tor. Der Stürmer-Markt ist völlig überhitzt. Aber ohne Investitionen wird es der FC Bayern auch im nächsten Jahr schwer haben, die Champions League zu gewinnen.